Wie die anderen heilen

Eine Reise durch die traditionelle Volksmedizin

Ungewöhnliche Heilmethoden fremder Völker

von Susanne Dürrfeld-Flügel

Wer sich für traditionelle Heilmethoden interessiert, macht sich nicht nur auf den Weg in ferne Länder (wenn auch nur mittels seiner Vorstellungskraft), sondern er begeht gleichzeitig eine Zeitreise, die bis zurück in die Antike reicht. Überall wo frühe Hochkulturen blühten, in Ägypten, Mesopotamien, Indien, China und im präkolumbianischen Amerika entwickelten sich neben einer primitiven oder magischen Heilkunde die ersten Ansätze einer Medizin, die durch Beobachtung und Erfahrung geprägt war. Jeweils geprägt von der Kultur, der sie zugehörte, bildete sich jene archaische Medizin heraus, deren erstaunliches Wissen und tiefe Weisheit die Menschen der heutigen Zeit immer wieder fasziniert.

Medizin zwischen Atlantik und Pazifik

Wer meint, Saunagänge seien eine typisch schwedische Angelegenheit, der mag zwar sicherlich nicht falsch liegen, genauer betrachtet sind es jedoch nicht nur die Schweden, die diese Art der körperlichen Abhärtung anwendeten und immer noch anwenden. Uralt und dabei immer noch gebräuchlich ist nämlich das indianische Schwitzhütten-Ritual. Die Schwitzhütten waren Zelte, die zu einer Art Sauna umfunktioniert wurden. Dazu wurden im Inneren der Zelte glühende Steine als Ofen benutzt, die von Zeit zu Zeit mit Wasser und Heilkräuterauszügen begossen wurden. In der Regel wurde dieses Schwitz-Ritual kurz vor Wintereinbruch zur Reinigung von Körper und Geist vollzogen – also in erster Linie als religiöses Zeremoniell genutzt. Sicherlich aber spielten die guten Erfahrungen in punkto Abhärtung und Abwehr im bevorstehenden kalten Winter eine ebenso wichtige Rolle. Religiöser Glaube, die damit verbundenen Zeremonien, und ein dahinter steckender medizinischer Sinn und Zweck, sind bei den meisten alten Kulturen eng miteinander verwoben und lösten sich erst in den letzten Jahrhunderten, zumindest in unseren Breitengraden, langsam auf. Auch die Azteken kannten das Dampf- oder Schwitzbad (temazcalli), das auch heute noch vielfach unter den mexikanischen Indios in Gebrauch ist. Auch hier diente der Gebrauch mehreren Zwecken: der rituellen Reinigung, der körperlichen Säuberung und der medizinischen Therapie. Die Azteken benutzten dazu kuppenförmige, quadratische Schwitzhäuser aus Ziegel. Ein Teil der Wand bestand aus porösem Vulkangestein; in ihrer Nähe wurde außen ein Feuer gemacht, während von innen Wasser über die heißen Steine gespritzt wurde: der berühmte Dampfaufguss. Dreißig Minuten musste der Dampf auf den Badegast einwirken, ehe er wieder herauskommen durfte. Dann erhielt er, ganz nach bekanntem Schema, einen lauen oder kalten Wasserguss.

Da die Dampfbäder meist in der Nähe der zahlreichen Schwefelquellen des Hochlandes lagen, bot es sich an, schwefelhaltiges Wasser zu verwenden. So konnte bei Hautkrankheiten zweifellos eine gute Wirkung erzielt werden. Diese Bäder wurden in Verbindung mit Massagen bei allen möglichen Krankheiten, besonders bei Fieber, nervösen Zuckungen, rheumatischen Beschwerden, Kriegsverletzungen, Schlangen- und anderen Tierbissen gern gebraucht.

Heiße Steine, Pflanzensud, Schimmelpilze, Kakteensaft und Grizzly-Wurzel: Die Apotheke Manitus bot ein reichhaltiges Angebot an Heilmitteln, wobei gerade Pflanzen einen Pfeiler bei der Behandlung von Kranken bildeten. Hunderte von Heilpflanzen waren die wichtigste Stütze der Medizinmänner. Einige davon sind heute noch gebräuchlich und in den meisten Hausapotheken zu finden. Einige sind in Vergessenheit geraten.

So half zum Beispiel die Rinde des Fenchelholzbaumes bei Koliken, Blähungen, Leber- und Nierenschmerzen. Der Sud aus Blättern und Beeren sollte rheumatische Beschwerden und Geschlechtskrankheiten lindern. Frisch zerriebene Blätter dienten als Wundpflaster, das ausgekochte Wurzelmark als Narkotikum. Die Indianer kannten sogar Penicillin. Zur Behandlung von Wundinfektionen und gegen Diphtherie kratzten sie Schimmelpilzkulturen von Baumstämmen ab und strichen sie auf die Wunde.

Die bekannteste indianische Kulturpflanze ist der Tabak. Sein Saft half gegen Zecken und desinfizierte Wunden. Sein Rauch begleitete nicht nur Rituale und Kulte, er linderte auch Kopf- und Zahnschmerzen. In der Regel rauchten die Indianer den Tabak gemischt mit anderen Heilpflanzen.

Zu den spektakulärsten Erfolgen der indianischen Medizin zählt die Behandlung von Skorbut, zum Beispiel mit Elsbeeren und Feigenkakteen. (Davon profitierten im Übrigen drei französische Schiffsbesatzungen, die im kalten Winter 1535/36 am St.-Lorenz-Strom im Eis festsaßen. 25 der 110 Männer waren bereits an Vitaminmangel gestorben, als ihnen die Indianer zu Hilfe kamen und die Männer kurierten.)

Interessant ist auch die indianische Verhütung: die indianische „Anti-Baby-Wurzel“. Viele Stämme kannten bereits die empfängnisverhütende Wirkung der Yamswurzel. Was die Indianer aber dabei sicherlich nicht wussten war, dass diese Pflanze das Hormon Progesteron enthält, ein wichtiger Bestandteil der heutigen Anti-Baby-Pille.

Wer sich im Herbst in der Apotheke mit Echinacea-Präparaten eindeckt, dem mag auch nicht bewusst sein, dass dies ebenfalls ein indianisches Heilmittel ist. Bei Verletzungen wurde das Wurzelpulver auf die Wunde gestreut, die Blätter als Wundpflaster aufgelegt. Die Dakota-Indianer tranken den Sud aus Echinacea angustifolia gegen Blutvergiftungen. Es gab auch Stämme, die während des Winters die Wurzel sozusagen als Kaupräparat einnahmen. Heute wird Echinacea im Allgemeinen zur Stärkung der körperlichen Abwehr eingenommen.

Eine recht ungewöhnliche Wurmkur hatten sich die Indianer wohl von den Grizzlybären abgeschaut: Während der Lachs-Saison fraßen und fressen die Bären die Fische, die meist mit Würmer befallen waren. Um sie wieder loszuwerden, fraßen die Tiere die stark abführend wirkende Lilienwurzel.

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Anschrift der Verfasserin:
Susanne Dürrfeld-Flügel M.A.
Nördliche Auffahrtallee 62
80638 München



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