FACHFORUM

Leonhard Fuchs

Arzt, Botaniker und Kräuterbuchautor

von Josef Karl

Wir erinnern uns in diesem Jahr an einen der bedeutendsten humanistischen Mediziner, an den 1501 im schwäbischen Wemding geborenen Leonhard Fuchs (gestorben 1566 in Tübingen). Zeitgenosse von Paracelsus, stand er in jener Phase, wo wir den Beginn der Neuzeit festsetzen: das späte Mittelalter und die Gotik sind ausgelaufen, die Renaissance ist in vollem Gang und ein unvergleichlicher Umbruch vollzieht sich. Jetzt wird überall nach der Systematik der Natur gesucht, der neue Begriff der Wissenschaft, den der mittelalterliche Mensch nicht kannte, feiert allerorts seine Triumphe. Im Religiösen ist es der Protestantismus, der den Umbruch von dieser Seite voranbringt – und auch L. Fuchs trat ihm bei, was sein Leben um einiges bewegter und schwieriger gestaltete. Studiert in Ingolstadt, das zu jener Zeit eine Universität hatte, Professor in Tübingen, kam 1542 sein Hauptwerk in Basel mit den seinerzeit üblichen Titeln in lateinischer Sprache heraus: „Historia stirpium“ – ein Jahr später unter dem volksnaheren Namen „New Kreuterbuch“. Es ist eines der ersten streng gegliederten Werke – 200 Jahre vor der Pflanzensystematik Carl von Linnè. Hat Linnè von dieser Nomenklatur von Fuchs profitiert? Ich bin leider Botanik-historisch nicht genügend informiert. („Liber stirpium“ bedeutet frei aus dem lat. übersetzt: Buch von Wurzeln, Pflanzen, Sträuchern, Bäumen; von stirps, stirpes lat.). L. Fuchs war noch Botaniker und Arzt, damals und noch einige Zeit danach üblich und unabdingbar, bis die Zeit kam, wo abstrakte chemische Formeln den Arzt mehr und mehr in die Chemie und die synthetischen Arzneien drängten.

Wie gut und nützlich wäre es, wenn auch der Arzt der Jetztzeit wieder – einer paracelsischen Folgerung folgend, mehr durch das „Examen der Natur“ ginge, d. h. in die Natur und in die Anschauung der Botanik und Pflanzen, die er verordnen möchte!

(Ich sage das nicht ohne „experentia“: mache ich doch seit 35 Jahren für Ärzte und Heilpraktiker Arzneipflanzen-Exkursionen und bin sehr häufig irritiert über das gute theoretische Wissen über die jeweilige Pflanze – jedoch die Phyto-Pharmakognosie ist mangelhaft.) Das könnte sich ändern.

Es ist eines der umfangreichsten und vollständigsten Kräuterbücher, die je gedruckt wurden. Sehr viele Pflanzen finden sich, die auch heute noch als Arzneipflanzen gelten – mehr allerdings, die aus dem Arzneischatz längst verschwunden sind: Affodil (= Goldwurz), diverse Nesselarten, Knoblauchhederich, Akelei, Amarant (= Rheinblumen bei L. Fuchs), Frauenhaar – es ist eine lange Liste. Allen ist neben der Botanik auch „die natur und complexion“ beigegeben, was das bedeutet, soll am Beispiel des Hopfens wiedergegeben werden: „Es sind ettlich, die schreiben der Hopff sey kalter natur. Die andern, er sey mittelmäßig, weder kalt noch warm. Aber beyde teyl irren, dann dieweil der Hopff seer bitter ist, und ein starken geruchs, so müßt er von not wegen warm und trucken sein im andern grad. Deßgleichen ist auch die wurtzel warmer natur.“

Mir liegt ein schönes und sehr dickes Reprint-Exemplar von Konrad Kölbl, München 1964, vor; ein Original wäre sehr teuer und kaum zu bekommen (obwohl das Haus Karl & Faber in München immer wieder ein Exemplar dieser im 16. Jhrdt. erschienen Kräuterbücher zur Versteigerung bringt). Man muss sich natürlich einlesen, die Typografie macht jedoch keine größeren Schwierigkeiten und man muss auch keine mittelhochdeutschen Sprachkenntnisse haben, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen.

Man sieht: mit der „natur und complexion“ ist es so eine Sache, eine Grundorientierung der alten Humorallehre ist notwendig. Vergleicht man allerdings diese Angaben in zeitgleichen Kräuterbüchern der Renaissance, bemerkt man Widersprüche – wie sie ja L. Fuchs beim Hopfen anführt. (Es ist sicher eine ähnliche Problematik, wie sie bei der astrologischen Zuordnung von Heilpflanzen zu finden ist.) „Die krafft und wirckung“ ist das „Indikationsregister“, modern ausgesprochen. Nochmal willkürlich ausgewählt – der Hopfen: „Hopffen reynigen das Geblüt, treiben auß beyderley Ballen... Seynd gut den wassersüchtigen... gut zu allerley verstopfung...“ Es kommt noch einiges dazu, und, was natürlich von der heutigen Indikation interessiert, nämlich Nervosität und leichte Schlafstörungen: davon ist nicht die Rede. Jedoch kommt bei L. Fuchs ein wichtiger Satz, der seine Auffassung von der Nützlichkeit für die Galle in ein interessantes Licht taucht: „... und in summa, hat alle wirckung, so von Galeno den bittern dingen sind zugeeignet. Die wurtzel nimet hinweg allerley verstopffung, in sonderheyt aber der leber und des milzes“. Also: Berufung auf Galen, eineinhalb Jahrtausende zurück und die Indikation als Bitterpflanze, an deren Richtigkeit sich bis zum heutigen Tag nichts geändert hat! (Dass sie in der heutigen Monografie als Bitterstoffdroge nicht hervortritt hat den Grund, dass die andere Indikation sich in den Vordergrund geschoben hat und wir im Arzneischatz genügend Bitterstoffpflanzen haben, die nicht schlaffördernd sind.)

Bei der Haselwurz (Asarum europaeum) – es ist übrigens von jeder Pflanze eine Abbildung im Kräuterbuch – ist es eine Freude, die, wie bei anderen auch, präzisen botanischen Angaben zu lesen. „Haselwurtz hat bletter gleich dem Ephew (Efeu, d.Verf.), doch viel linder und runder. Zwischen den blettern nach bey der wurtzel wachsen herfür braun purpurfarb Blumen und wohlriechend in hülsen gleich dem Bilsenkraut...“. Alles sehr genau, sehr anschaulich – nur so gar nichts von der heutigen Trockenheit der Botanik!

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Anschrift des Verfassers:
Josef Karl
Heilpraktiker
Siegfriedstr. 10
80806 München

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