Das Wunder der Verreibung

von Elisabeth Schulz

Homöopathische Arzneimittelverreibungen in Gruppen stellen eine direkte innere Verbindung zwischen dem Homöopathen und dem Geistwesen der Heilmittel her. Diese Erlebnisebene gleicht einem Abenteuer und gibt viele Geheimnisse preis, die im innersten Kern des Heilmittels liegen.

Schläft ein Lied in allen Dingen
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen
Triffst du nur das Zauberwort
(Joseph von Eichendorff)

Im Paragraphen 265 des Organons schreibt Samuel Hahnemann: Es ist Gewissenssache für den Arzt, in jedem Fall untrüglich überzeugt zu sein, daß der Kranke jederzeit die rechte Arznei einnehme und deshalb muß er die richtig gewählte Arznei dem Kranken aus seinen eigenen Händen geben, auch sie selbst zubereiten.

Welche Gründe haben Samuel Hahnemann dazu veranlaßt, die Herstellung der Arzneimittel selbst vorzunehmen und trotz der dafür erlittenen Angriffe dieses Grundprinzip seiner Lehre im Organon an seine Schüler weiterzugeben? Meine Hamburger Arbeitsgruppe es ihm in den letzten Jahren nachgemacht, um den Paragraphen 265 zu verstehen. Dieser Schritt war der Eintritt in ein unbekanntes Land. Wir folgten dem Ruf der Heilmittel auf eine große Reise voller Wunder und Erfahrungen. Sie, die Pflanzen, die Mineralien, die Tiere waren unsere einzigen Lehrer und hatten unser ganzes Vertrauen. Diese Reise dauert an, denn schon bei der ersten Verreibung mit Calendula, der Sonnenanbeterin eröffnete sich ein Wissen, das in keiner Materia Medica steht. Es schien, als würde der Geist des Heilmittels selbst zu uns sprechen und uns von seinem Wesen und den Symptomen, die es heilt, zu erzählen. Die gut bekannten Heilmittel gaben uns das Vertrauen in unsere Wahrnehmung, denn die körperlichen Symptome konnten wir genauso wie die Geistes- und Gemütssymptome nachlesen. Später bei unbekannten Mitteln war diese Vorerfahrung eine gute Stütze. In den letzten fünf Jahren der Forschung mit Arzneimittelverreibungen half uns die Theorie der morphogenetischen Felder, die auftretenden Phänomene zu verstehen: ein Beispiel sind die Kollegen, die an der Prüfung teilnehmen, ohne das Heilmittel einzunehmen und die die besten Prüfungergebnisse berichten. Ein weiteres Beispiel sind die Kollegen einer Arbeitsgruppe, die bei einer Prüfung nicht anwesend sind, aber deutliche Prüfungssymptome erleben. Rupert Sheldrake spricht in seinem Buch: Das Gedächtnis der Natur "von energetischen Feldern, die das Wissen seit Anbeginn der Zeit über und um jeden Teil der Natur gespeichert haben." Diese Energiefelder sind nicht an Zeit und Raum gebunden. Viele unerklärliche Ereignisse bei großen Gruppenprüfungen lassen sich über diese Theorie erklären. Mit den Verreibungen haben wir einen Zugang, wenn nicht sogar den Schlüssel gefunden, um in diese Wissensbereiche eintreten zu können. Die Verreibungen in Gruppen öffnen uns die Tür zu dem unerschöpflichen Reichtum der Weisheit in unseren Heilmitteln. Sicher wußte Hahnemann um diesen Schatz. Natürlich begegnen wir bei jeder Verreibung unserem eigenen, aber auch dem kollektiven Schatten, was immer wieder eine große Herausforderung ist. Mit jeder Arzneimittelbegegnung werden im Verreiber selbst tiefe Bewußtseins- und Heilungsprozesse ausgelöst. Wir geben diesen Erfahrungen Raum und Zeit. Mit Hilfe biodynamischer Psychotherapie kann die Energie des Heilmittels sich entladen und ihren Weg ins Bewußtsein finden. Oft wird gerade in diesen Prozessen die zentrale Wahnidee deutlich.

Auch mit wenig Übung sind tiefe Erfahrungen möglich. Empfehlenswert ist es bei der ersten Verreibung mit einer Pflanze zu beginnen, vielleicht mit Bellis perennis oder Viola tricolor. Sinnvoll ist das Verreiben in einer Gruppe, weil dann, ähnlich einer Arzneimittelprüfung, Sicherheit über die erlebten Erfahrungen und Symptome entsteht. Die Gruppendynamik vertieft das Erleben und die energetischen Prozesse.

Unsere Heilmittel sprechen zu uns über Geistes- und Gemütssymptome, körperliche Symptome, Empfindungen, Erinnerungen, innere Bilder und Träume. Die Dauer der Verreibung beträgt für jede Potenzstufe eine Stunde und erfolgt exakt nach den Angaben im Organon. Wir verreiben in großen Porzellanschalen mit 25 cm Durchmesser.

Die Gruppengröße kann variieren. In der Hamburger Arbeitsgruppe sind in der Regel 15 bis 20 Personen beteiligt, manchmal mehr. Je größer die Gruppe ist, um so intensiver ist das Energiefeld, das entsteht. Wir arbeiten drei bis fünf Tage an einem Mittel, um es zu erschließen. Die Verreibungen finden im Rahmen der homöopathischen Ausbildung statt, aber auch in kleineren Gruppen mit erfahrenen Kollegen, die neugierig sind und Lust am Abenteuer haben.

In den ersten zwei Jahren haben wir vorwiegend bekannte Heilmittel verrieben. Danach, mit genügend Erfahrung hatten wir den Mut auch unbekannte Heilmittel zu verreiben. Falco cherrug (Sakerfalke), Columba palumbus (Ringeltaube), Threskiornis aethiopica (der heilige Ibis) sind bereits 1996 in den Homöopathischen Einblicken Nr. 28 veröffentlicht.

Cygnus olor (der Höckerschwan) wurde im März 1997 von 19 Personen (18 Frauen und ein Mann) verrieben. Den Teilnehmern des Seminars war das Mittel nicht bekannt. Verrieben wurde von der C2 bis in die C4, täglich eine Stunde. Die Schwanenfedern (von drei Federn wurden Teile abgeschabt bzw. abgeschnitten) stammen aus der Schwanenpflegestation am Mühlenteich in Hamburg. An diesem Teich überwintern alle Hamburger Schwäne. Sie werden im Frühling vom Schwanenvater wieder in ihre ursprünglichen Reviere gebracht. (Es war nicht mehr nachvollziehbar, von welchen Tieren die Federn stammten.) Da die Verreibungen keine ordentliche Arzneimittelprüfung sind und diese auch nicht ersetzen können, möchte ich die Erfahrungen und Erlebnisse als Thementeile zusammenfassen. Die Verreibungen dienen ausschließlich der Forschungsarbeit und sind keine Konkurrenz für den Apotheker.

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Anschrift der Verfasserin:
Elisabeth Schulz
Zum Neetzekanal 41a
21382 Brietlingen

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