von Piet van den Toorn
Der Name "Rachenblütler" weist auf eine tiefe Blütenröhre hin, wie wir sie vom Fingerhut (Digitalis) kennen. Der neue Name dieser Pflanzenfamilie ist "Braunwurzgewächse", weil Scrophularia die Braunwurz ist. Bei den meisten Pflanzen dieser Familie besteht die Blüte aus fünf verwachsenen Blütenblättern. Davon bilden die oberen zwei zusammen eine Oberlippe und die unteren drei die Unterlippe. Bei manchen Rachenblütlern, wie Löwenmaul, Leinkraut und Wachtelweizen, ist der Schlund durch Umgestaltung der Blütenlippen verschlossen. Solche Blüten wirken wie maskierte Gesichter und wurden früher "Personatae" genannt (persona = Maske).
Eigentlich ist die Zahl fünf maßgeblich für den Blütenbau, aber manche Pflanzen diese Familie neigen zur Reduktion und haben vier statt fünf Kelchblätter, oder vier statt fünf Staubblätter. Das fünfte Staubblatt kann zu einem kleinen Stümmelchen (Staminodium) werden. Die Neigung zur Reduktion ist ganz besonders beim Ehrenpreis zu erkennen, der in der Regel nur noch vier Blütenblätter hat, wie auch das Gottes-Gnadenkraut. Ehrenpreis und Köningskerze scheinen mit ihren eher offenen Blüten nicht in dieser Familie zu passen.
Vom Wesen her zeigen Köningskerze und Ehrenpreis eine Beziehung zum Licht und zur Sonne, während die typischen Rachenblütler sich mehr in Sphären einer introvertierten Pflanzenerotik befinden. Form und Lage des Staminodiums spricht für diese Bewertung, aber auch die Tatsache, dass viele Pflanzen dieser Familie fein behaart sind, oft auch die Blüten. Das deutet m. E. auf eine Pflanzensensibilität hin. Und die Gauklerblume (Mimulus) besitzt reizbare Narbenlappen. Eine solche Bewegungsreaktion auf Berührung kennen wir sonst nur von bestimmten Mimosen (Sinnpflanzen).
Wenn wir die Blüten der Fingerhutpflanze mit denen der Tollkirsche vergleichen, können wir eine vorhandene Verwandtschaft zwischen diesen Pflanzenfamilien erkennen. Anders als bei den Nachtschattengewächsen, deren Wirkstoffe oft Alkaloide sind, finden wir in dieser Pflanzenfamilie z.T. Herzglykoside, z.T. Iridoidglykoside. Glykoside sind Verbindungen von Wirkstoffen mit einem Zuckerrest. Auch Saponinglykoside sind häufig vorhanden.
Der etwa einen Meter hohen Pflanze begegnen wir in feuchten Wäldern, Gebüschen, Wegrändern. Sie liebt feuchte und stickstoffreiche Erde. Der purpurbraune Stengel ist vierkant, die Blüten sind klein, etwas bäuchig und riechen unangenehm. Sie werden nicht von Bienen, sondern von Wespenarten besucht. Der flache Wurzelstock zeigt zu beiden Seiten knotige Verdickungen ("nodosa"). Gerade diese Verdickungen haben durch die Pflanzenphysiognomie zu der Anwendung bei Drüsenschwellungen geführt. Bereits Dioskuridis beschrieb die gute Wirkung bei Lymphdrüsenschwellung am Ohr, am Hals und in der Leiste. Die ganze Pflanze wurde in Essig zerkleinert und äußerlich aufgelegt. Auch im Mittelalter wurde die Pflanze sehr geschätzt. Der Botaniker Fuchs schrieb im 16. Jahrhundert: die Pflanze habe die Kraft "herte kröpff zu verzeren, und faulen geschwär zu heylen". Scrophularia war die Heilpflanze für die "scrophulae" (Drüsenschwellungen am Hals, meist Folge der früher häufigen Lymphedrüsentuberkulose). Auch Schilddrüsenvergrößerungen zählten zu der Skrofelkrankheit.
Die Pflanze wurde früher äußerlich und auch als Tee genützt. Sie ist jedoch durch den hohen Seponingehalt giftig und kann bei Überdosierung eine Nierenreizung mit Hämaturie verursachen. Bei innerer Anwendung können niedere homöopathischen Potenzen verordnet werden. In Lymphemittel wie Lymphomyosot (Heel) und Lymphaden (Hevert) ist die Pflanze als D3 enthalten. Die Indikationen haben sich seit Dioskuridis kaum geändert: harte Drüsenschwellungen (Lymphdrüsen, Kropf), Ekzeme der Ohren, skrofulöse Augenleiden.
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- wird fortgesetzt -
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Naturheilpraxis 12/2000