FACHFORUM

Häusliche Anwendungen - Sinnvolle Ergänzung des naturheilkundlichen Therapiekonzepts

von Siegfried Haußmann

Zusammenfassung:

A. Einleitung
Aus der ungeheuerlichen Fülle volksmedizinischer Anwendungen nur diejenigen herauszufischen, denen in der Praxis, Klinik und Häuslichkeit eine Bedeutung beizumessen ist, weil sie sich bewährt haben, muss ein unvollständiges Anliegen bleiben. Die vielen hundert Rezepturen der traditionellen Kräuterheilkunde Europas, als wären es Briefmarken, zu sammeln, bereits dabei sind Grenzziehungen vorzunehmen, um die Indikationen vor den Absorptionen des Volksbrauchtums - im jeweiligen Zeitstrom - zu schützen und Fragen nach einem medizinischen Wert offen zu halten. Der ethnomedizinische Einstieg erfolgt "in der Ergründung des (der) Verhältnisses der Volksseele zur Natur"1.

Sehr bald bemerkt man eine andere Schieflage, wie sie zwischen Vorgaben eines katechetischen Lehrgebildes und dem verwirklichten Volksansinnen vorzukommen pflegt. Beides ist sich nicht feind und sie leben friedlich zueinander, da doch derselbe Zweck heiligt. Und doch unterliegen sie nicht allein per definitionem recht unterschiedlichen Voraussetzungen. Medizin aus dem Volk (Volksmedizin, Kräuterheilkunde, Votivwesen etc.) ist etwas anderes, als die für das Volk erwogene, staatlicherseits herangezüchtete Heilwissenschaft. Man stöbere bloß in ein paar älteren und neueren volkskundlichen bzw. volksmedizinischen Sammlungen: von Friedrich, Matthiolus, Osiander, Most, Lammert, Marzell und wie sie alle heißen, um das festzustellen. Daher wohl die von v. Kronfeld/Hovarka (1905) angeregte Trennung, dass "...unter Volksmedizin der Inbegriff der von alters her überlieferten Krankheitsvorstellungen und Heilmethoden des Volkes im Gegensatz (wäre nicht treffender: "in Ergänzung"?) zur Heilwissenschaft..." so zu verstehen ist. Gegenüber den "offiziellen" medizinischen Meinungen, Begriffen und Methoden gehört aber ein anderes wichtiges Element, das überraschend fehlt: Die Volksmedizin beherrscht keine differenzierende, an Pathologien interessierte Diagnostik, ja eine solche ist ihr unbekannt. Für das Abendland gilt dies seit Hippokrates, der die damals weit verbreitete "Kräuter-Orakelei" in die außerakademische Randzone verbannte.

An klassifizierbaren "Offenbarungen der Natur", die therapeutische Entscheidung vom ausgeleuchteten Grund aus, abhängig zu machen, halten aber seit der Koser Schule alle Methoden bis dato fest. Und das aus triftigem Grund: eine konzeptionelle Gestaltung der Therapie ohne jegliche Diagnose wäre willkürlich bzw. undurchschaubar, daher der Begriff "Dia-Gnostik". Gerade die Nahtstellen zu den volksmedizinischen Anwendungen, die uns manchmal sehr irrational erscheinen und dem naturheilkundlichen Konzept auf diagnostischer Basis, machen aber den Reiz aus, sich einfach "dahingestellten" Überlieferungen und Ratschlägen zu widmen, um anschließend Urteile über die gemeinsam errungenen Erfolge zu fällen, nämlich dort, wo die medizinische Entwicklung überwiegend starre Therapieformen hervorbringt, um nachher die praktisch erzielten Ergebnisse anzunehmen, oder - als Misserfolg gedeutet - zur Seite zu legen. Darunter übrigens Beispiele, die zwar Anspruch erheben der Vorbeugung zu dienen, in Wirklichkeit aber in der Trivialität von Küchenexperimenten über dem häuslichen Herd verdunsten. "Gewiss ist es für den Laien schwer zu unterscheiden, wenn Laienhilfe aufzuhören und ärztliche Kunst einzusetzen hat.

Eine bestimmte Richtschnur lässt sich in dieser Beziehung nicht geben"2. - Wir lesen das irritiert, im Vorspann zu einer "Sammlung praktischer Hausmittel und Ratschläge", der wir das damals ebenfalls weitverbreitete "Hausbuch für die deutsche Familie"3 als Bestätigung noch daneben legen. Unklarheiten auflösen, Erfahrungsgrundsätze mit der Diagnostik eben nicht verwechseln, das Verhalten im magisch-mythischen Bewusstsein unserer Vorfahren tolerieren, folglich gerade daran eine Richtschnur ausfindig zu machen und die beständigen Stellen an ihr aufzuzeigen, dies war stets eine Kardinalaufgabe, der mit der Volksmedizin eng verbundenen "Naturheiler" - welcher hier in Ausschnitten nachgegangen wird.

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Literaturhinweise:

1 "Volksmedizinische Botanik der Germanen" Max Höfler, Reprint 1908, VWB Verlag Berlin 1990, S. 1
2 "Gesundheit durch die Natur - Sammlung praktischer Hausmittel und Ratschläge" Paul Zemter Dresden 1925
3 "Hausbuch für die deutsche Familie" Verlag für Standesamtswesen Berlin, o.J.
4 weiterführend: "Repertorium der Irisdiagnose" und "Die Konstitution" Joachim Broy, Foitzik Verlag München
5 "Wickel und Auflagen - Anleitung für Pflegende" Els Eichler, Verein für erweitertes Heilwesen, Bad Liebenzell 1981
6 "Die Felke-Kur" Schriftenreihe der Ärztlichen Arbeitsgemeinschaft für Felketherapie, Verlag Waldemar Kramer Frankfurt 1975; "Hüter und Wächter der Gesundheit" A. Böhler, Hamed Verlag Zürich 1933, Sn. 159 ff.

Anschrift des Verfassers:
Heilpraktiker
S. Haußmann
Kernerstr. 1
76530 Baden-Baden

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