Traditionelle Chinesische Medizin

Die Fünf Wandlungsphasen in der Therapie

von Josef Müller

Bei der Betrachtung der Fünf Wandlungsphasen drängen sich einige grundsätzliche Fragen auf, die ich im folgenden zu beantworten versuche:

WOHER
was ist die Stellung der Fünf Wandlungsphasen in den vielfältigen und oft widersprüchlichen Aussagen und Konzepten der Chinesischen Medizin?

WIE
wie werden die Fünf Wandlungsphasen konkret in die Therapie umgesetzt?

WOHIN worin liegt die Bedeutung der Fünf Wandlungsphasen für die Entwicklung einer neuen Medizin, die ein integriertes und vernetztes Bild von Körper und Psyche bietet und weit über den Anwendungsbereich der Chinesischen Medizin hinausgeht?

Das Huang Di Nei Jing des gelben Kaisers - Klassiker der Inneren Medizin, bildet das Fundament der chinesischen medizinischen Tradition und ist ähnlich der Bibel als eine Zusammenstellung verschiedener Weltanschauungen und -erfahrungen zu betrachten, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind und der verschiedene Bilder der Realität zugrunde liegen.

Darin finden sich Gedanken der Dämonenmedizin (Krankheit ist Ausdruck des Befalls durch böse Geister), der Ahnentradition (die Lebenden müssen mit den Verstorbenen in Einklang stehen), des Konfuzianismus (z.B. die Betrachtungsweise der Organe als Beamte, die wie im konfuzianischen Staatssystem festumrissene Pflichten und Aufgaben erfüllen müssen, damit die Harmonie im Staatswesen des Körpers erhalten bleibt, der naturalistischen Schule (die Naturbetrachtung und die Uebertragung dieser Vorgänge auf den Körper) und der Daoisten (alles befindet sich in einer steten Wandlung, und Krankheit ist die Blockade dieser Wandlungsvorgänge).

Daraus wird klar, dass es die Chinesische Medizin nicht gibt, sondern bestensfalls systemische Ansätze, die von unterschiedlichen Schulen in vielfältiger Weise kombiniert werden.

Die chinesische Medizintradition sieht es geradezu als Tugend an, dass ein Meister dieser Medizin sein ihm ganz eigenes System, seine individuelle Kombination von medizinischen Konzepten entwickelt, die seiner unmittelbaren Erfahrung entsprungen sind und nicht dem starren Korsett eines unveränderlichen gültigen Dogmas.

Der westliche Denkfehler besteht darin, all diese unterschiedlichen Ansätze als Teile eines Systems zu sehen und zu versuchen, diese Teile in Einklang zu bringen, sie wie die Newtonsche Physik zu einem logisch stimmigen Gebilde ausbauen zu wollen.

Aufgrund der Verwirrung, die aus einem solchen Versuch entsteht, empfiehlt es sich, die einzelnen Ansätze für sich zu betrachten und so zu bestimmen, von welchem Gesichtspunkt aus dieser oder jener Teilaspekt sein medizinisches Handeln definiert.

Sehen wir die Gliederung des Nei Jing in 2 x 81 Kapiteln nicht als zufällig an, sondern dem Vorbild des Dao De Jing, des Buchs der Wandlungen mit 81 Kapitel folgend, können wir versuchen, eine Unterscheidung der einzelnen medizinischen Theorien nach Zahlen vorzunehmen.

Eins
steht für die Einheit des Dao, so wie eine zeitgemäße Auffassung des Universums sein könnte, es als einen einzigen lebendigen Organismus mit unendlich vielen Teilaspekten aufzufassen.

Zwei
Diese Einheit ist als solche aber nicht direkt wahrnehmbar, sondern tritt immer in polaren Aspekten auf, die sich laufend wandeln, wie Tag in Nacht in Tag übergeht usw. Dies nennen die Chinesen Yin Yang mit der endlosen Variation von sich ergänzenden Polaritäten, wie hell - dunkel, Ruhe - Aktivität, Aufbau - Abbau, verdichtend - auflösend, Materie - Energie etc.

Was im Westen als TCM bekannt ist, benutzt als Grundraster zur Bestimmung von Krankheiten diese Yin / Yang-Einteilung mit den zusätzlichen Parametern von heiß / kalt, innen / außen und Ueberschuss / Mangel (die sogenannten 8 Leitkriterien).

Drei
Zwischen den beiden Grundkräften Yin/Yang entsteht nun wie zwischen den Polen einer Batterie Strom, die Lebenskraft Qi, die sich zwischen Himmel und Erde aufspannt und alle Aggregatzustände vom Dichtesten bis zum Flüchtigsten einnehmen kann. Alles schwingt in unterschiedlicher Frequenz, so wie Eis zum Wasser und dann zu Dampf wird, sich wieder zu Regen verdichtet usw. Die sogenannten 3 Schätze des Menschen Shen/Geist, Qi/Energie und Jing/Erbgut, körperliche Identität stehen für die Bandbreite menschlicher Existenz. Auf einer eher körperlichen Ebene benutzt die TCM den 3-er Raster Qi/Blut/Körperflüssigkeiten, um zu bestimmen, welche der 3 sogenannten vitalen Substanzen von einer Störung betroffen ist.

Vier
Das Qi ist unterschiedlichen Rhythmen unterworfen, so wie das Jahr verschiedene Jahreszeiten durchläuft. Diese sind Ausdruck verschiedener Bewegungsrichtungen der Lebensenergie, die sich von einem Zentrum aus in die 4 Himmelsrichtungen ausbreitet; aufsteigend im Frühling, entfaltend im Sommer, absinkend im Herbst, zusammengezogen und ruhend im Winter, dies entspricht den Wandlungsphasen Holz, Metall und Wasser. Das Zentrum hält all die unterschiedlichen Bewegungstendenzen der Qi-Energie zusammen, gleicht die Uebergänge zwischen ihnen aus und wird der Wandlungsphase Erde zugeordnet.

Daraus entwickelte sich z.B. eine Medizinschule, die das größte Gewicht auf die Erhaltung dieser stabilisierenden Mitte legt und die Repräsentanten der Wandlungsphasen Erde im Körper, Magen und Milz, vorrangig zu stärken versucht.

Fünf
Reiht man diese Mitte in einen Kreis mit den anderen Wandlungsphasen ein, wird daraus eine zyklische Bewegung, die durch 2 Gesetzmäßigkeiten gekennzeichnet ist. Dem Sheng- oder Ernährungszyklus (jede Wandlungsphasen erzeugt die nächste und wird von der vorigen erzeugt) und dem Ke- oder Kontrollzyklus (jede Wandlungsphasen kontrolliert die übernächste und wird von der vorvorigen kontrolliert). Auf solche Weise steht jede Wandlungsphase mit allen anderen in Beziehung, es ergibt sich ein wesentlich dynamischeres und vernetzteres Bild als beim 4-er Modell, das die unendliche Vielfalt von Störungen, die von einem Organ ausgehen, auf alle anderen Organe erklären kann.

Sechs
erklärt die tagtägliche Organisation des Durchlaufs der Qi-Energie durch die einzelnen Organe (die sogenannte Organzeituhr). So hat jedes der 12 "Organe" der Chinesischen Medizin eine Doppelstunde, in der das Qi besonders stark aktiviert ist und 12 Stunden später eine Doppelstunde, in die seine geringste Aktivität fällt. Verschlechterung oder Verbesserung in der zugeordneten Maximalzeit deuten auf Störungen in bestimmten Organen (z.B. Asthmaanfälle um 3 Uhr morgens, der Lungenmaximalzeit, und Verbesserung der Beschwerden 3 Uhr nachmittags deuten auf einen Völlezustand - bei einem Leerezustand in einem Organ könnte man Verbesserung in der Maximalzeit und Verschlechterung in der Minimalzeit erwarten.)

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Anschrift des Verfassers:
Josef Victor Müller
Hauptstr. 16 D
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Tel. (07745) 5381

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