FACHFORUM

Der Cranio-Sacrale Rhythmus - Atem der Seele?

von Matthias Langner

Zur Zeit heiß diskutiert wird die Frage nach den Entstehungsursachen für den Cranio-Puls. P. Aisenpreis, Leiter des Instituts für Cranio-Sacrale Integration® stellte zum Jahrestreffen neue Theorien zu diesem Thema vor. Dem bislang zur Erklärung verwendeten Modell nach Upledger stehen alternative Ansätze gegenüber. Zur Diskussion steht u.a. ein polyrhythmisches Erklärungsmodell, nach dem Verbindungen aus arteriellen, venösen Puls und Atem- bzw. Herzrhythmus via Synchronisation eine gemeinsame Pulswelle hervorrufen. Solitäre Venenpulse des Sinussytems im Schädel könnten ebenso in Frage kommen, wie eine dem Nervensystem inhärente Motilität. Grundsätzlich können die meisten Behandler mindestens 2 Rhythmen als "Craniopuls" wahrnehmen. Einen schnelleren mit einer Pulsationsfrequenz von 7 - 14 Zyklen/min. und einer darunter liegenden langsamen Wellenbewegung von 1-2 Zyklen. Letzterer wird auch großer Gezeitenrhythmus genannt, hat eine weitläufige Amplitude und geht mit tiefen Entspannungszuständen einher. Auffällig und für eine sog. wissenschaftliche Beweisführung wenig hilfreich ist die Tatsache, dass verschiedene Behandler eine unterschiedliche Wahrnehmung dieses subtilen Ereignisses haben. Dabei sollte man jedoch bedenken, dass jedes Experiment und sein Ergebnis vom subjektiven Betrachtungswinkel des Forschenden und seiner Fragestellung mit beeinflusst wird. Vorstellbar wäre auch die Möglichkeit, dass der eigentlich gefühlte Puls ebenfalls eine "synchronisierte" Wahrnehmung zwischen Klient und Behandler darstellt und somit für diese Konstellation einzigartig ist. Offen bleibt die Frage, ob es wirklich einen eigenständigen cranialen Puls gibt, oder ob andere rhythmische Systeme die Extensions- und Flexionsbewegung mitverursachen. Die Wirksamkeit der Behandlung bleibt davon unberührt und die Effekte lassen sich auch über die gezielte Entspannung der Fasziensysteme von Gehirn und Rückenmark ableiten. Dennoch erscheint mir die Frage nach einer rhythmischen Grundorganisation im Körper wesentlich und das Funktionskreismodell der chinesischen Medizin gibt dazu einige Hinweise. Die Rhythmusfunktion wird dem Element Metall und dem Funktionskreis Lunge /Dickdarm zugesprochen, wobei in der Lunge die Synthese zwischen "der Erbenergie" des Individuums (d.h. den anlagebedingten Ressourcen und Anpassungsleistungen) und den kosmischen Energien des "Himmels" stattfindet.

Das Produkt dieses Syntheseprozesses ist Ki, als die individuelle aktive Energie, die durch den Funktionskreis Lunge/Dickdarm rhythmisiert wird und als Wehrenergie in den Leitbahnen und in der Haut zirkuliert. Damit hat das Element Metall eine wichtige integrative Funktion darin zwischen Einflüssen aus der Umwelt und der Innenwelt des Organismus eine Homöostase aufrecht zu erhalten. Deutlich wird dies daran, dass die Haut (Haut u. Nervengewebe entstammen dem Ektoderm) als Grenzmembran einmal als Form gebende und Milieu regulierende "Hülle" fungiert, zum anderen aber auch als "Empfindungsorgan" u.a. Berührungsreize übermittelt. Der sich ein Leben lang fortsetzende rhythmische Wechsel von Einatmen und Hereinlassen von "Außenströmungen" und dem darauf folgenden Zurückkehren zum inneren Zentrum beim Ausatmen ist für die Stabilität und Gesunderhaltung von Körper und Seele entscheidend. Ist der rhythmische Wechsel zwischen Innen- und Außenströmung gestört, verliert sich der Mensch entweder in den Sinnesreizen der Umgebung oder kann durch die Begrenzungen des "eigenen Hauses" nicht hinausgelangen. Im Extrem zeigt sich dies in hyperaktiven und hyperästhetischen Syndromen und in autistischen oder depressiven Gemütszuständen. Das ausgewogene Ein- und Ausströmen des Atems als Transportmedium für Ki bestimmt die Vitalität und Leistungsfähigkeit des Organismus. Auf psychischer Ebene zeigt sich eine gesunde Metallfunktion in der Fähigkeit sich auf sich selbst und die eigenen Ressourcen zurückzubesinnen und darüber hinaus einen lebendigen und spontanen Kontakt in der Außenwelt zu verwirklichen. Parallelen dazu finden sich bei den sog. cranialen Flexions- bzw. Extensionsläsionen. Während bei der erstgenannten die Außenrotatoren und "Antischwerkraftmuskeln" dominieren und die Reaktionsweise mehr extravertiert und handlungsbetont erscheint, überwiegt bei den anderen der Beugertonus und ein eher nach Innen gekehrter Wahrnehmungsmodus. Im Alltag entscheidet die Fähigkeit Außeneindrücke flexibel und für das Individuum sinnvoll mit den Erinnerungs- und Erfahrungwerten des "Innenlebens" abzustimmen über ein situationsgemäßes und befriedigendes Verhalten. Häufig ist jedoch ein Teilbereich der oben genannten Atem- u. Wahrnehmungsströme uns nur teilweise oder gar nicht bewusst, so dass eine Verzerrung des rhythmischen Wechselspiels ein Eingehen auf den aktuellen Situationsfluss verhindert und wir entweder sprichwörtlich "gespannt den Atem anhalten" oder "enttäuscht die Luft rauslassen". Allein das rhythmische Hin- und Herschwingen der Lebensfunktionen zwischen den Polaritäten hält das "Rad des Lebens" am Laufen. Die Bewegung des Rades bleibt gleich, es macht jedoch einen großen Unterschied ob man es sich bildhaft gesprochen auf der Lauffläche oder auf der Radnabe bequem gemacht hat. Körpereigene Rhythmen bilden dynamische Ordnungsstrukturen und das Verwobensein der Einzelkomponenten mit größeren über das Individuum hinaus reichenden jahreszeitlichen und kosmischen Rhythmusstrukturen stellt ein Mysterium des Lebens dar.

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Anschrift des Verfassers:
Matthias Langner
Heilpraktiker
Kardinal-Faulhaber-Platz 6
83022 Rosenheim

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