FACHFORUM

Pflanzenheilkunde in der Humoralpathologie

Renaissance einer Heil- und Nahrungspflanze

von Friedemann Garvelmann

Jetzt im August erscheint von diesem Autor, der ein erfahrener Vertreter der traditionellen Phytotherapie ist, im Pflaum Verlag ein Buch mit dem gleichnamigen Titel "Pflanzenheilkunde in der Humorlapathiologie". Darin wird wichtiges Erfahrungsgut aufbereitet, das durch die lediglich stoffliche Betrachtung der Heilpflanzen in der modernen Phytotherapie verloren zu gehen droht. Selbst bei einer monographiekonformen Anwendung der Heilpflanzen kann das Wissen um die traditionelle humoralpathologische Sichtweise die behandlerische Phantasie um wertvolle Aspekte erweitern.
Aus diesem Grund bringen wir hier einen Artikel des Autors, der den Charakter des Praxishandbuchs phytotherapeutischer Konstitutionsmittel widerspiegelt. Red.

Die Phytotherapie ist eine der wichtigsten medikamentösen Therapieverfahren in naturheilkundlichen Praxen. Durch die immer stärker werdende Orientierung an den Bewertungskriterien der Schulmedizin hat diese Behandlungsmethode sich in den letzten Jahrzehnten stark von ihren traditionellen Wurzeln entfernt und dabei viel von ihrer Ganzheitlichkeit eingebüßt. Immer mehr Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker erkennen die Notwendigkeit, das in ihren Praxen angebotene Behandlungsangebot qualitativ von den in ärztlichen Praxen angebotenen Naturheilverfahren abzuheben. Dabei spielt zwar die Auswahl der Diagnose - und Therapiemethoden eine Rolle, der entscheidende Unterschied liegt jedoch in dem zugrundeliegenden Denkmodell. Hierdurch entscheidet sich in erster Linie, ob es sich bei einer Behandlung um eine "Schulmedizin mit biologischen Mitteln", oder um eine systemorientierte Naturheilkunde handelt, die sich an den Gesetzmäßigkeiten natürlicher Heilungsstrategien orientiert.

Die unverzichtbare Grundlage der traditionellen europäischen Naturheilkunde ist die auf Hippokrates zurückgehende Humoralpathologie. Sie war seit dem 4. Jahrhundert v. Chr., bis zur Postulierung der Virchow'schen Zellularpathologie (1858) das tragende Erklärungsmodell der europäischen Heilkunde. Mit ihr wurde erstmalig die Physiologie und Pathophysiologie des menschlichen Organismus in einem wissenschaftlichen Sinne erfasst. Die in Gesundheit und Krankheit ablaufenden Reaktionen und die damit verbundene Symptomatik wurden durch die Humoralpathologie erklärbar und der Arzt konnte auf der Basis dieser Erklärung ein rational begründetes Therapiekonzept entwickeln.

Das zellularpathologische, organotrope Erklärungsmodell der heutigen Schulmedizin hat die Humoralpathologie weitgehend in Vergessenheit geraten lassen; sie gilt im universitären Bereich als ,überholt' - als medizinhistorisches Relikt vergangener Zeiten. Lediglich in den Bezeichnungen der vier Temperamentstypen entdecken wir die vier Kardinalsäfte wieder. In der sog. "Komplementärmedizin" ist sie jedoch nach wie vor in vielen Bereichen die unabdingbare Basis naturheilkundlichen Denkens und Handelns, was u. a. in der Augendiagnostik, den Aschner-Methoden und der traditionellen Pflanzenheilkunde zum Ausdruck kommt.

Die Humoralpathologie ist nicht nur Basis einer eigenständigen Physiologie und Pathophysiologie, sondern sie ermöglicht es, den Organismus als kybernetisches System mit verschiedenen Untersystemen zu verstehen und therapeutisch zu beeinflussen. Sie stellt somit einen Schlüssel zu einer hochmodernen biokybernetischen Medizin dar, die von einem funktionellen, bzw. pathofunktionellen Denkansatz ausgeht. Sie liefert Erklärungen für die Entstehung der organpathologischen Details, die nach zellularpathologischer Sichtweise im Zentrum der Betrachtung stehen. Diese objektivierbaren organischen Befunde (aus denen sich die klinische Diagnose ergibt) sind immer als Endergebnis einer pathofunktionellen Entwicklung im Gesamtorganismus zu interpretieren, die durch multifaktorielle Ursachenkomplexe in Gang gebracht bzw. gehalten wird. Damit liefert die humoralpathologische Diagnostik entscheidende Informationen für eine konstitutionelle Therapie, denn für ein kausal orientiertes Behandlungskonzept ist die Kenntnis über die pathogenetischen Hintergründe weit wichtiger als deren Endergebnis. Die namengebenden Elemente der Humoralpathologie sind die vier Kardinalsäfte mit ihren spezifischen humoralen Qualitäten, die sie zu "Wirkprinzipien" im Organismus werden lassen:

  • Sanguis (Blut) - warm und feucht
  • Phlegma (Schleim) - kalt und feucht
  • Cholera (Gelbgalle) - warm und trocken
  • Melancholera (Schwarzgalle) - kalt und trocken
  • Ein grundsätzliches Verständnisproblem besteht darin, dass diese vier Säfte zwar als "Körperflüssigkeiten" beschrieben werden und auch häufig als solche symptomatisch in Erscheinung treten (z. B. Schleimausscheidung bei Katarrhen), aber in der humoralpathologischen Physiologie und Pathophysiologie primär als ,Informationsträger' zu verstehen sind, die durch ihre spezifischen humoralen Qualitäten wirksam werden.

  • "Wärme" steht dabei für das nicht - materielle, dynamische, aktive Prinzip, das sämtliche Körperfunktionen (incl. Abwehr - und Heilungsreaktionen) in Gang bringt und hält. (Analog zum YANG der TCM)
  • "Feuchtigkeit" steht dabei für das materielle, struktive und ernährende Prinzip. (Analog zum YIN der TCM)
  • "Kälte" bedeutet das Fehlen von Wärme, was die Reduzierung der Aktivprozesse zur Folge hat.
  • "Trockenheit" bedeutet das Fehlen von Feuchtigkeit, was die qualitative Veränderung von Strukturen (Eintrocknung), aber auch Ernährungsstörungen bedingt.

    Sämtliche Krankheiten basieren auf z. T. komplexen Dysharmonien im Säftehaushalt: Veränderungen im Mischungsverhältnis der vier Säfte (Dyskrasie) oder "Verunreinigungen" eines Kardinalsaftes durch pathologische Säfte, sog. "Schärfen". Folge ist die Über- oder Unterrepräsentanz eines oder mehrerer Wirkprinzipien, was durch typische Symptome zum Ausdruck kommt.

    Einige Beispiele:

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  • Literaturhinweise:
    Broy, Joachim: Die Konstitution, 2. Aufl. 1992, Klaus Foitzick Verlag
    Hufeland, Christoph Wilhelm: Lehrbuch der allgemeinen Heilkunde, Haug - Verlag 1993
    Garvelmann, Friedemann: Pflanzenheilkunde in der Humoralpathologie, Pflaum - Verlag, 2000
    Müller, Ingo W.: Humoralmedizin, Haug 1993

  • Anschrift des Verfassers:
    Friedemann Garvelmann
    Hauptstr. 8, 79790 Küssaberg-Kadelburg
    Tel.: 07741-2926
    email: rhizoma@t-online.de
    Internet: http://home.t-online.de/home/rhizoma

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