Kinder in der Naturheilpraxis

Kunsttherapie bei kindlichen Traumaerlebnissen

von Rosemarie Schuckall

Dass Kinder gerne und intensiv malen, sich dabei so stark in ihre Bilder vertiefen und in ihnen aufgehen können, dass sie vollständig in eine eigene innere Welt aus Helden Mythen und Märchenfiguren abtauchen, (um sich mit ihnen zu identifizieren), hat jeder schon erlebt, der selbst Kinder hat oder sich zumindestens an die eigene Kindheit erinnern kann. Dabei ist dieses Eintauchen über das Malen tiefer und ganzheitlicher als es die typische Erwachsenenwelt mit ihrer Überdimensionierung von Geist und Intellektualität, sich je vorstellen könnte. Was auf dieser Ebene tiefer Phantasiewelt, die gleichsam eine Welt in der Welt bedeutet, real stattfindet, ist deshalb so plastisch, weil Kinder noch über die Fähigkeit verfügen, ihr Erleben mit all ihren Sinnen auszugestalten, um es damit vieldimensional lebendig werden zu lassen. Das hierfür geeignete Wort wäre nur unzulänglich als "Trance" zu umschreiben. Die Magie der Imagination dieser Bildlichkeit der inneren Welt lässt es zu, dass Böses bekämpft und dass Gutes zugelassen wird. Erlaubt es, dass Unmögliches möglich wird, dass Ungerechtigkeit sich in Gerechtigkeit verwandelt, dass Schwache stark werden und dass Starke in der stimmigen Weise schwach werden können. Wer kürzlich ferngesehen hat, konnte den Film "Bogus" sehen. Einen Film, indem ein kleiner Junge seine Mutter verliert und sich dann nicht mehr in der Welt zurechtfinden kann. Er wird zu einer Tante geschickt, die ihn aber vernachlässigt. Aus einem Gefühl des Ausgestoßen- und gänzlichen Verlassen-Seins, beginnt er zu zeichnen, zu malen. Er beginnt mit seiner Zeichnung zu sprechen und entdeckt, in der von ihm geschaffenen Bilderwelt unversehens einen Partner, den er Bogus nennt. Dieses, durch seine Phantasie entstandene Wesen wird real und ihm zum Freund. Es entsteht in dieser "Zwischenwelt" ein so intensiver und "wirklicher Kontakt", dass nicht nur die Zwiesprache mit der verlorenen Mutter wieder möglich wird, sondern, dass das Kind von nun an Ohnmachtssituationen und sein Ausgeliefertsein gegenüber den Erwachsenen so weitgehend und vollständig ausblenden kann, dass ihm die Kontrolle und Mitbestimmung über sein Leben wiedergegeben wird. Das, was im Film als Hollywood-inszeniertes Unterhaltungsphantasma erscheinen mag, zeigt sich in der Wirklichkeit kunsttherapeutischer Kindertherapie als durch und durch reales Phänomen, so dass dieser Film in Wahrheit als eine Dokumentation über die inneren Möglichkeiten von Kindern im Umgang mit dem Medium Malen verstanden werden kann.

Die Kunsttherapie erweist sich als eine via regia zu den emotionalen Inhalten, welche sich der Rationalität, damit den Worten primär verschließen. So findet sie beispielsweise in Golemans Grundlagen-Arbeiten zur Emotionalen Intelligenz nachdrücklich Erwähnung. Goleman führt dabei aus, dass die Kunsttherapie dann besonders bedeutsam werde, wenn Traumen so tief gingen, dass sie zur Gänze verdrängt oder abgespalten werden mussten. Bei der Behandlung von Kindern mit postraumatischem Stresssyndrom (PTS) ermöglichen kunsttherapeutische Vorgänge einen Weg, an das im "Mandelkern (des Gehirns) eingebrannte Bild heranzukommen."(Zitat Goleman)" Das emotionale Gehirn ist stark auf symbolische Bedeutung eingestellt, was im übrigen Freud den "Primärprozess" genannt hat, nämlich die Welt der (rechtshämisphärischer) Metaphern, Erzählungen, Mythen und der Künste. Diese Erkenntnis hat heute dazu geführt, dass die Kunsttherapie konsequent in entsprechenden Einrichtungen bei der Behandlung traumatisierter Kinder integriert wird. Für manche Kinder bietet das künstlerische Agieren die einzige Möglichkeit, über ein grauenvolles Erlebnis zu kommunizieren, über das sie sich auf andere Weise nicht zu äußern wagen würden. In den Zeichnungen traumatisierter Kinder tauchen systematisch und typischerweise versteckte Hinweise auf die traumatischen Szenen auf. Die machtvollen, ja imperativen Erinnerungen, die ihnen zu schaffen machen, drängen sich in ihre Bilder in gleichem Maße, wie in ihre Gedanken. Außerdem hat das künstlerische Gestalten, wie oben erwähnt, als solches schon therapeutischen Wert. Bereits die Intention des Zeichnens initiiert den Beginn der Bewältigung des Traumas. Dalley analysiert die Position des therapeutischen Prozesses als "das Malen in der Gegenwart des Therapeuten ändert die Interaktion und die dynamische Balance. Das Malen bleibt so nicht länger Bestandteil des allgemeinen Spielflusses, sondern es wird zum Mittelpunkt der Therapie. Das Bild dient quasi als eine Art "Zwischenraum", das beiden Beziehungspartnern auch Schutz vor überflutenden Affekten gewährt." Wie konkret das Malen und Zeichnen traumatische Prozesse und Befangenheiten im kunsttherapeutischen Raum entstehen und verarbeiten lassen kann, werde ich anhand einer ausgewählten Falldarstellung demonstrieren. Der gewählte Fall stellt die Bilder und Geschichte eines vielfach traumatisierten Kindes vor, das quasi seit seiner Geburt mit schwersten Verlusten und Trennungen zu leben hatte.

Und in der Realität hatte seine Skepsis hier tatsächlich auch recht, denn bereits die Wahrnehmung seiner unmittelbaren Situation in der Gruppe rechtfertigte eine solche Einschätzung. Der Abschied seiner Freundin war angekündigt und stand unmittelbar bevor, was ihn sehr traurig machte. Seine neugewonnene Freundin war mit ihrer Therapie zu Ende und sollte in den nächsten Wochen entlassen werden. Er reagierte darauf mit großer und durchaus adäquater Trauer wie auch einem feinen Gespür für diese schwierige Abschiedssituation, die er dann ausgesprochen sensibel und sehr involvierend in einem Abschieds-Titanicbild zum Ausdruck brachte. Er gab seinem Schmerz einen Ausdruck, indem er seine Titanic nur mehr zu Hälfte ausmalte und dabei ausgesprochen resigniert und mit einem tiefen Seufzer bemerkte: "sie geht ja doch". (Bild 8)...

Anschrift der Verfasserin:
Rosemarie Schuckall
Kunsttherapeutin
München
E-Mail: r.schuckall@schuckall.de
Internet: http://www.schuckall.de

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