Kinder in der Naturheilkunde

Der sexuelle Missbrauch aus unterschiedlichen Perspektiven

von Werner Kränzlein

Sexueller Missbrauch ist durch einige herausragende Fälle zum Thema einer breiten Öffentlichkeit geworden. Neben der positiven Wirkung, nämlich der Kenntnisnahme eines Problems durch weite Bevölkerungskreise, führen diese Veröffentlichungen in der Presse leider nicht zu einer umfassenden und abgewogenen Information. Eine kurze Aufklärung unter verschiedenen Gesichtspunkten soll dieser Aufsatz bieten.

1) Was ist eigentlich sexueller Missbrauch?

Die Definition wird von § 176 des Strafgesetzbuches vorgegeben. Danach wird wegen sexuellen Missbrauchs bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt. Ebenso macht sich strafbar, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt. Außerdem macht sich strafbar, wer sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt, ein Kind dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen, oder auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, bzw. durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt.

Vom Schutz des Gesetzes werden somit Kinder beiderlei Geschlechts und Taten von massiven verbalen Attacken bis hin zum Geschlechtsverkehr umfasst, wobei nicht zwischen hetero- und homosexuellen Handlungen unterschieden wird. Schutzgut der Vorschrift ist die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern unter 14 Jahren. Eine tatsächliche Schädigung oder Gefährdung wird nicht vorausgesetzt.

2) Das Opfer

Der überwiegende Anteil der Opfer ist weiblich. Dies lässt sich damit erklären, dass die Täter überwiegend männlich und heterosexuell sind. Neueste Statistiken halten aber eine annähernd gleich hohe Anzahl männlicher Opfer für möglich.

Was das Alter betrifft, ist die Mehrzahl der Opfer zehn bis dreizehn Jahre alt. Pauschal gesagt, werden Kinder mit zunehmendem Alter öfter zu Opfern eines sexuellen Missbrauchs. Hier ist zu bedenken, dass Kleinkinder noch geringere Möglichkeiten haben, auf eine Straftat hinzuweisen. Somit ist der Statistik gegenüber, die natürlich nur von bekannt gewordenen Fällen sprechen kann, ein gewisses Misstrauen angebracht.

Wie dem Gesetzestext zu entnehmen ist, kann ein Kind durch die unterschiedlichsten Handlungen zum Opfer eines sexuellen Missbrauchs werden. Die Handlungen erfassen ein weites Spektrum zwischen empfundener brutaler physischer Gewalt und "Freundlichkeiten" durch den "guten Onkel". Entsprechend sind die Auswirkungen. Selbstverständlich gibt es physische Schäden bei entsprechender Gewalt, doch sind diese eher selten, da Täter meist keine Spuren hinterlassen wollen. Wo diese Gewalt nicht erfolgte, sind trotzdem schwer messbare psychische Schäden die Folge. Hier muss durch Untersuchungen abgeklärt werden, welche abweichenden Verhaltensweisen nach der Tat als psychische Schädigung überhaupt zu definieren sind. Typische unmittelbare Missbrauchsfolgen sind das Gefühl der Machtlosigkeit, des Ausgeliefertseins, des Vertrauensbruchs durch den Missbraucher aus dem sozialen Umfeld, Misstrauen gegenüber anderen Menschen. Daraus entstehen Ängste, Schuldgefühle, Leistungsstörungen, Neurosen.

Bei der Intensität der Schädigung spielt das Ausmaß der Tathandlung, die Anwendung von Gewalt und das Verhältnis zum Täter eine entscheidende Rolle.

Nicht nur der Missbrauch selbst, auch die Aufdeckung und ein Gerichtsverfahren können das Kind nachhaltig schädigen. Fehlt dem Kind bei der Tat selbst die Verstandesreife für das Geschehen, wird ihm in der Folgezeit beigebracht, dass es selbst ein Opfer ist. Dadurch erfolgt die psychische Verletzung und Traumatisierung.

Was muss ein Kind nun im Strafverfahren erleben, in dem ihm die Rolle des Zeugen zugedacht ist? Das Kind wird in vielen Fällen körperlich zu untersuchen sein, gynäkologisch, aber auch am ganzen Körper nach eventuellen Spuren. In den meisten Fällen kann der Beweis des Missbrauchs ja nur durch das Kind selbst erbracht werden. Schließlich muss das Kind als Zeuge aussagen. Dies erschöpft sich nicht in einer einmaligen Aussage, sondern Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht benötigen oft jeweils einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind. Auch ein Gutachten über die Glaubwürdigkeit des Kindes wird häufig durch einen Psychologen erstellt. Im Gerichtsverfahren selbst ist das Kind in jedem Verfahren erneut zu hören. Hierbei ist eine Belastung durch die Örtlichkeit selbst schon gegeben, aber auch durch oft ungeschulte Fragesteller oder ganz einfach durch einen leugnenden Angeklagten und dessen Verteidiger.

Was die Vielzahl der Vernehmungen und die Beeinflussung durch die Örtlichkeit betrifft, ist der Gesetzgeber jetzt durch Zulassung einer Videovernehmung einen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Trotzdem bleiben viele unangenehme Erlebnisse für das Kind übrig. Eine therapeutische Aufarbeitung ist in dieser Zeit nicht möglich. Die erwünschte positive Wirkung eines Strafverfahrens ist so in Frage gestellt.

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Anschrift des Verfassers:
Werner Kränzlein
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Nymphenburger Str. 25
80335 München

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