FACHFORUM

Helianthus Tuberosus

Renaissance einer Heil- und Nahrungspflanze

von Josef Karl

Topinamburblüte
(Korbblütler)

I.

Obwohl aus einem Kartoffel- und Krautanbaugebiet stammend (Schwäbisch-Bayerische Hochebene, Lechrain), aus einer kleinen Landwirtschaft mit Bienenzucht, kannte ich den Topinambur 1) nicht. Es ist auf Anhieb auch schwierig, zwischen dem Sonnenblumengewächs Helianthus tuberosus, Topinambur, und der Kartoffel eine Beziehung herzustellen - oberirdisch sind sie so verschieden wie nur möglich. Helianthus tuberosus gehört zu den Korbblütlern (Compositen) und die Sonnenblume ist ihr nicht nur vom Namen her ähnlich: Helianthus annuus, die einjährige. (Helios - in der griechischen Mythologie Gott der Sonne, der mit seinem Wagen den Horizont durchmisst, den Lauf des Gestirns mit vier Rössern nachfährt).

Erst wenn man die Wurzeln der Sonnenblumen ansieht, die im Verhältnis zur oberirdischen Pflanze erstaunlich klein sind, und jene knollenförmigen (tubera=lat. Knolle) des Topinambur, leuchtet die Assoziation mit der Kartoffel ein. Allerdings: was wir landläufig als Früchte bei Kartoffel und Topinambur ansehen, sind die Wurzeln bzw. die Wurzelknollen, die sog. Früchte sind oberirdisch - bei den Sonnenblumen die Samen als Ölfrucht, bei der Kartoffel reifen hierzulande die grünen kugelförmigen Früchte nicht aus. Dass die Kartoffel ein Nachtschattengewächs (Solanaceen) ist, dürfte allgemein bekannt sein (botanisch heißt sie Solanum tuberosum).

Ich hoffe, ich habe mit dieser Einführung niemanden verwirrt - sie scheint mir aber notwendig, um die verschiedenen Namen und Bezeichnungen zu sortieren: die "Süßkartoffel", wie die Topinamburknolle auch genannt wird, ist also keine Kartoffel in dem Sinn, sondern ein Sonnenblumengewächs!

II.

Zum Anfang zurück - und wie ich den Topinambur kennenlernte: nach dem Studium kam ich als Assistent zum Kneipparzt Dr. Karl Schöner nach Burg-Bernheim in Mittelfranken. Das Wildbad liegt sehr idyllisch, ein alter Fachwerkbau, inmitten eines Eichenwaldes auf der Frankenhöhe; es war ein Kneippsanatorium (das heute leider nicht mehr existiert). Dr. Schöner, ein Naturheilkundler und Kneipparzt ganz besonderer Art, selbst vorlebend, was er von den Patienten verlangte (und das war nicht wenig), war sehr bemüht, möglichst viel Gemüse für die Diäten im eigenen Garten biologisch anzubauen. Unter den ca. 40 Patienten, die eine 4 - 6wöchige Kur machten, waren immer auch Diabetiker: diese erhielten die Topinamburknollen, sowohl roh gerieben (mit Sellerie, Apfel, gerieben, mit Nüssen, was durchaus gut schmeckt) als auch gekocht, möglichst mit Schale und etwas Kräutersalz. Und wenn man sich an den eben etwas süßlichen Geschmack gewöhnt hat, sind sie auch für den Nicht-Diabetiker eine Abwechslung, die selbst von Feinschmeckern gelobt wird. Wir ersetzten also in der Diabetikerkost die Kartoffel durch Topinambur, was wegen des besonderen Geschmacks nicht immer gelang. Wir haben im Gemüsegarten eine große Ecke für den Topinamburanbau reserviert, was auch optisch im Sommer zur Blütezeit ein schöner Anblick war. Nichts Konkretes kann ich über die Wirksamkeit sagen: wie soll es solide möglich sein, durch Blutzuckerkontrollen bei einer Multi-Therapie (Wasseranwendungen, Bewegungstherapie, Atem- und Entspannungsübungen, zusätzliche Medikation d.h. Injektionen und dem allgemeinen Kurfaktor "Tapetenwechsel") eine Senkung, die wir nahezu immer erreichen konnten, auf den "Diätfaktor Topinambur" zurückzuführen? (In 15 Jahren Mitarbeit bei der Kommission E, Phytotherapie, beim seinerzeitigen BGA (Bundesgesundheitsamt) in Berlin habe ich gesehen, wie renommierte Professoren mit den unzähligen pseudowissenschaftlichen Studien, die sich heute allerorts in medizinischen Blättern finden, umgehen: in den Papierkorb ... und sicher nicht immer zu Unrecht!)

Der Gärtner baute zwei Arten an, eine hell- und eine rotschalige; ich habe dies später im eigenen Garten ebenso gehalten - es sind Nuancen im Geschmack zu finden. Auch habe ich bald zwei Topinambur-Fans aus der Tierwelt kennengelernt: im fränkischen Eichenwald die Wildschweine und später im eigenen Garten die Mäuse! Der Förster im Burgbernheimer Wald hat unsere seinerzeitige Anregung aufgenommen, sie auf Waldlichtungen als Nahrung für das Rotwild und die Wildschweine zu kultivieren, was relativ einfach ist, weil sich die Sprossknollen vegetativ vermehren wie die Kartoffel, nur mit dem Vorteil, dass sie winterhart sind. Gegenüber den Wildschweinen konnten wir uns mit Maschendraht schützen - die Mäuse im Garten können einen zur Resignation bringen: wir ernten quasi nur, was sie übriglassen. (Hingegen kann man die Knollen sogar auf dem Münchener Viktualienmarkt kaufen).

...

Anmerkungen:
1) Lt. Duden ist das Geschlecht männlich, in der Umgangssprache wird zumindest im hiesigen Sprachraum der weibliche Artikel verwendet, vielleicht im Zusammenhang mit die T.-Knolle.
2) In letzter Zeit wurde auch auf den Zinkgehalt hingewiesen, was in der Diabetiker-Therapie von Bedeutung ist.

Literaturverzeichnis:

  • Bärwald, G. und Amanu, S.: Zur Wachstumsstimulation von Bifidusbakterien durch lösliche Ballaststoffe vom Fruktantyp - Erfahrungsheilkunde Band 40, Heft 6, Juni 1991
  • Werk, W. und Galland, F.: Gewichsreduktion langfristig stabilisieren - Therapiewoche Band 44, Heft 1, Januar 1994

    Anschrift des Verfassers:
    Josef Karl
    Heilpraktiker
    Siegfriedstr. 10
    80803 München

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