Füße

»Wanderer gerätst du nach Theben ....«

von Bernd Hertling

Vorbemerkung

Wenn nun ein Mensch wie ich, dessen Standort sich auf der guten, also der südlichen Seite des Weißwurstäquators befindet, ein Geschichtchen zum Thema "Füße" schreiben soll, kommt er automatisch in die Zwickmühle. Denn die Sache mit den humanen Sohlen-Stand-Punkten hat einen Pferdefuß. Wo wir Südstaatler (das Problem betrifft ja auch die Völker des alemannischen Sprachraums) "Fuß" sagen, meinen andere, die sich in der Regel für klüger halten, nur weil sie nördlich des besagten Äquators hausen, damit ein "Bein". Natürlich weiß auch ich, daß in der gegenwärtigen lingua franca der Wissenschaft, dem Englischen, sehr wohl zwischen foot pl. feet und leg differenziert wird, der Norden, wie es scheint, also Recht hat. Mit "Bein" kann aber auch jeder beliebige Knochen gemeint sein, nicht nur die untere Extremität in ihrer Gesamtheit, dies wiederum beweist die lingua franca der Medizin bis ca. 1945, das Lateinische, wo mit os, ossis "Bein, Knochen" gemeint war und mit pes, pedis "Fuß" im südlichen Sinne gemeint war.

Der Germanist erinnert sich an eines der ältesten deutschen Sprachdokumente, die Merseburger Zaubersprüche, wo es in einem Heilssegen, den Donar über den gebrochenen Oberschenkel seines Bockes spricht, "Bein zu Bein, Blut zu Blut..." heißt. Doch, um keine weitere Sprachverwirrung zu evozieren, bleibt mir also nur die Flucht auf neutrales Terrain, und so begeben wir uns in die früharchaische Phase der Griechischen Antike und landen in einer Gegend, die der gebildete Grieche gemeinhin mied. Diese mittelgriechische Region nannte sich Boiotien und entsprach in kultureller Hinsicht etwa der Gegend nördlich der Donau und östlich des Rhein im 1. Jh. nach Christi Geburt, heute würde man sagen, finsterste Provinz.

Er war gut zu Fuß, obwohl die Sonne, wie ein brüllender Stier vom Himmel brannte. Die dünnen Riemen seiner Opanken 1 scheuerten zwar an seinen groben Sprunggelenken und die alten Narben machten gelegentlich durch Drücken und Ziehen an der Achillessehne - die damals wohl noch nicht so hieß - auf sich aufmerksam, aber er schritt wacker aus. Er hatte den Mittelweg gewählt, wollte nicht die ihm vertrautere aber beschwerliche Route über die Berge nehmen, hatte sich aber auch nicht für den bequemen Umweg über die Ebene entschließen können. Schließlich wollte er noch an diesem Tag die Stadt erreichen.

Sein Vater, der Ziegenhirte Melampous 2 hatte ihn für die lange Reise in die sagenumwobene Stadt gut ausgerüstet. Auch wenn seine Abreise ein wenig wie ein Rauswurf aussah, hatte es sich der Vater nicht nehmen lassen, ihn ordentlich mit Käse, Feigen und hartem Brot zu verproviantieren. Zusätzlich zu seinem leinenen Alltagskittel hatte er ihm noch einen bunten Wollhimation, einen langen, mit Fransen besetzten Mantel, mitgegeben. Allerdings hatte er ihm auch empfohlen, das gute Stück während des langen Marsches auf der staubigen Straße zu schonen, was der Jüngling auch tat und ihn zusammengerollt am Wanderstab befestigt über der Schulter trug. Melampous hatte ihn dem Schutz des Hermes, des Geleiters der Reisenden anempfohlen, ihn gesegnet und dann seines Weges gehen lassen.

Der Wanderer trug das Unterkleid an den Lenden geschürzt, so daß sein Oberkörper frei blieb.

Vorsichtshalber hatte er sich zwar denselben mit dem Gold seines Landes, dem Presssaft der Früchte des boiotischen Ölbaumes eingerieben, doch gewährte sein breitkrempiger Petasos, der Reisehut aus geflochtenem Schilfgras, der den Vergleich mit den größten Pestwurzblättern nicht zu scheuen brauchte, ausreichend Schutz vor dem erbarmungslosen Helios. Dieser zog in seinem, allem Donner und Gebraus den er verursachte zu Trotz, für Menschenohren unhörbaren Wagen auf seiner seit Urzeiten vorgegebenen Himmelssphäre, der Ekliptik, seine Bahn und war nahe daran, seinen Kulminationspunkt zu erklimmen. High noon auf der Landstraße nach Theben...

...

Anmerkungen:
1 Einfache Sandale mit Sohle und Riemen, heute als "Jesuslatschen" geläufig.
2 Name vom Verf. geändert.
3 Abgeleitet von hó poûs, podós (der Fuß, das Bein) und hè âgra (Schlinge, Falle) wird der Begriff "Podagra" bereits in der Antike mit der Bedeutung "Gichtfuß" verwendet. Er leitet sich aber wortgeschichtlich von einem Fuß, der durch Kontakt mit einer Schlagfalle geschädigt wurde, ab.
4 Ziege heißt auf Griechisch hè aîx mit dem Genitiv aigós, aus welchem sich alle zusammengesetzten Wörter mit der Praefix aig- ableiten. Also Aigo-podion, der Diminuitiv für Fuß, also Füßchen. Das Unkraut Giersch trägt heute den latinisierten Namen Aegopodium mit dem Epitheton podagrariae in Erinnerung an Lykaons empirisch gewonnene Indikationsangabe.
5 In dieser Wendung steckt griech. tyche ein ambivalenter Begriff der Geschick, Glück im Sinne des launischen Glücks meint. Erst unter Beifügung der Praefixe eu- für gut dys- für schlecht entscheidet es sich, ob er tatsächlich "sein Glück machen" wird!

Anschrift des Verfassers:
Bernd Hertling
Heilpraktiker
Nettelkofenerstr.1
85567 Grafing

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