FACHFORUM

Wein als Opfergabe und Medizin in altägyptischer und koptischer Zeit

von Kamal Sabri Kolta

"Wein" und "Weinlaube"

(sprich: irep) in Hieroglyphenschrift.

Durch einen bedeutenden Fund thebanischer Ostraka (Theben: heute Luxor-West) machte der Ägyptologe Wiedemann eine erstaunliche Entdeckung: Er untersuchte ein Ostrakon, das besonders gut erhalten war und von einem Weingefäß stammte. Mithilfe mehrerer bruchstückhafter Aufschriften von anderen Fragmenten des Fundes war es ihm möglich, die Ostraka zusammenzusetzen, und er erhielt folgende aufschlussreiche Inschrift: s.o.

Die Übersetzung lautet: "Im Jahre 1, guter Wein von dem großen bewässerten Gelände des Tempels von Ramses II im Haus des Amun von Ägypten (= in Theben). Der Vorsteher der Weingartenarbeiter Thutmosis." (1)

Dieser Text belegt, dass es guten Wein in der 18. und 19. Dynastie (um 1550-1185 v. Chr.) gegeben haben muss, und zwar aus dem Weingarten, der dem Ramesseum-Tempel in Theben-West angegliedert war.

Die Rebe in Altägypten

Es stellt sich zunächst die Frage, wie sich im Altertum die Weinrebe in den Ländern der Mittelmeerregion verbreitete. Waren es die Semiten, die diese edle Gabe der Natur den alten Völkern am Mittelmeer überbrachten?

Vermutlich war der Anbau des Weins ursprünglich in den Tälern Vorderasiens verbreitet. Die Bereitung von Wein kannten sowohl die Assyrer als auch die alten Ägypter. In der Genesis ist von Alters her auch bei den Semiten die Weinkultur bekannt, da Wein bereits als Gabe des Königs Melchisedek an Abraham erwähnt wird. (2)

Die Griechen erlernten den Weinanbau vermutlich von den Phönikern - noch vor der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. Auch den Helden Homers war der Wein vertraut. Die Römer schließlich übernahmen die Kenntnis des Weinbaus von den Griechen.

Gegen Ende des 4. und zu Beginn des 3. Jahrtausends v. Chr. bildete sich aus der Vermischung der vorderasiatischen Einflüsse mit dem ägyptischen Grundwissen die Kulturgeschichte des Nillandes. Kaum waren die beiden Teile Ägyptens - Ober- und Unterägypten - unter einem König in der 1. Dynastie (um 3000 - 2810 v. Chr.) vereinigt, begannen die Pharaonen mit ihren Expeditionen zu den Minen in den Sinai und den Wäldern des Libanon. In der weiteren Geschichte Altägyptens war die erste Amtshandlung eines Königs, eine friedliche Expedition nach Palästina und Syrien und über die Hafenstadt Byblos durchzuführen, um Rohstoffe, die in Ägypten fehlten wie Kupfer, Silber, Eisen und vor allem Zedernholz, für den Bau von Tempeln und die Flotte, ins Land bringen zu lassen. Höchstwahrscheinlich wurde auch der Weinstock über solche Wege aus dem vorderasiatischen Raum nach Ägypten eingeführt. Sehr bald musste die Weinrebe in Ägypten heimisch geworden sein, denn sie gedieh dort bereits in der 1. Dynastie (3), wie wir aus der hieroglyphischen Aufschrift (sprich irep = Wein), auf einem Weinkrug und auf mehreren Krugverschlüssen (4) aus der 1. Dynastie ersehen können.

Die Rebe im Alten Testament

Vielfach beschreibt das Alte Testament den Weinstock und die Rebe. Einmal handelt es sich um "hohe Weinlauben" (5), dann, präziser, lesen wir: "die Trauben sind groß" (6), auch "Rotwein" wird erwähnt (7) oder "Berge, die von süßem Wein triefen" (8), schließlich erfahren wir von einem "bitteren und einem süßen Weinstock" bei Jeremias (9).

Leider ist im Alten Testament nicht die Rede vom Keltern der Reben, wohl aber von der Kultivierung von Weingärten (10).

Betrachtet man das hieroglyphische Bildmotiv für Wein (siehe oben, Anfangszeile), so erkennt man, dass dieses Motiv entweder mit zwei gebundenen Gefäßen oder mit einer Laube determiniert wird. Offensichtlich geht durch das Vorhandensein dieses Bildmotivs in der gesamten Geschichte Altägyptens - von der l. Dynastie bis zur römischen Kaiserzeit - hervor, dass Weinlauben neben Feigenbäumen und Dattelpalmen in den Gärten der Tempel und der vornehmen Landhäuser gepflegt wurden.

Wein in der koptischen Medizin
...

Anmerkungen:
(1) Wiedemann, Alfred: Ein Fund thebanischer Ostraka. ZÄS 21 (1883), S. 33-35.
(2) A.T., Genesis 14,18-19.
(3) Botanisches Museum, Berlin-Dahlem, Sammlung Schweinfurth, Georg, Listen-Nr. 348,351,354.
(4) Kaplony, Peter: Die Inschriften der ägyptischen Frühzeit. Wiesbaden 1963. Bd. I, S. 50-54,259 ff; Emery, Walter B.: Hor-Aha, Kairo 1939, S.19, Abb.10.
(5) A.T., 1. Könige 5,5.
(6) A.T., 4. Mose 13,23.
(7) A.T., Gen. 49,1 l.
(8) A.T., Joel 4,18.
(9) A.T., Jeremia 2,21.
(10) A.T., Jes. 5,1-12.
(11) Pyr.-Texte, Nr.92c.
(12) Lexikon der Ägyptologie (LÄ), Bd. VI, Wiesbaden 1986, Sp.1170 s.v. "Wein".
(13) A.T., Gen., 40,9-1 l.
(14) Bonnet, Hans: Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte. Berlin 1952. S.803
(15) Hayes, William C.: Inscriptions from the Palace of Amenhotep III. JNES 10(1951), S.37-39; Spiegelberg, Wilhelm: Bemerkungen zu den hieratischen Amphoreninschriften des Ramesseums. ZÄS 58(1923), S.25 ff
(16) Plinius: Hist. nat. Loeb Classical Library, Bd.370. London 1968. Buch XIV, Kap.75, S.236-237.
(17) Strabo: Geographia. Loeb Classical Library, Bd.267. London 1967. Buch XVII, Kap. l, Zeile 14, S.58-59.
(18) Siehe Anm.15.
(19) Hayes, William C.: Inscriptions from the Palace of Amenhotep III. JNES 10(1951), S.89,97.
(20) Helck, Wolfgang: Das Bier im Alten Ägypten. Berlin 1971. S.86-87.
(21) Die Pyramiden-Texte enthalten außerdem Gebete an die Götter und befassen sich mit der jenseitigen Existenz des Verstorbenen; sie bitten darum, dass der Tote vom Sonnengott Re in den Himmel aufgenommen werde, im Jenseits ein besseres Leben genießen könne und vor allem als Osiris verklärt werden solle.
(22) Pyr.-Text, Nr.1112d.
(23) Pyr.-Text, Nr.816c;151 lb;1723a-b.
(24) Pyr.-Text, Nr.130c; Hornung, Erik: Das Totenbuch der Ägypter. München 1979. Spruch 178, Z1.54-57, S.376.
(25) Urk. IV 1521,9 ff
(26) LÄ, Bd. II, Wiesbaden 1977, Sp.185, Anm.53 s.v. "Feste".
(27) Pyr.-Text, Nr.1524.
(28) Diod. I, Kap.17; Tibull I, Kap.7, Verse 32-33, S.50-51.
(29) Herod., Buch II, Kap.42.
(30) Pyr.-Text, Nr.2111.
(31) Pyr.-Text, Nr.628.
(32) Davies, Norman de Garis: Two Officials of Thutmosis the Fourth. London 1923, Taf. 30; Mackay, Ernest: Note on a New Tomb (No.260) at Drah Abu'1 Naga, Thebes. JEA 3, London 1916, Taf.14. Wersz. Atlas I, Taf.253.
(33) pEb, Nr.284-293.
(34) pEb, Nr.326-335.
(35) N.T. Joh.15,5-6.
(36) N.T. Joh.2,8-9.

Anschrift des Verfassers:
Dr. Kamal Sabri Kolta, Akad. Oberrat
Institut für Geschichte der Medizin der Universität München
Lessingstr. 2
80336 München

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