Konstitution - Disposition

Lavater und die Geschichte der Physiognomie

von Susanne Krell

Erster Abschnitt

"Was die Physiognomik heiße oder was diese Wissenschaft in sich begreife.

Physiognomik ist die Wissenschaft, den Charakter (nicht die zufälligen Schicksale) des Menschen im weitläuftigsten Verstande aus seinem Aeußerlichen zu erkennen; Physiognomie im weitläuftigen Verstande wäre also alles Aeußerliche an dem Körper des Menschen und den Bewegungen desselben, in sofern sich daraus etwas von dem Charakter des Menschen erkennen läßt. So viele verschiedene Charaktere der Mensch zugleich haben kann, das ist, aus so vielen Gesichtspunkten der Mensch betrachtet werden kann, so vielerley Arten von Physiognomien hat Ein und eben derselbe Mensch. Daher begreift die Physiognomik alle Charaktere des Menschen, die zusammen einen completen Totalcharakter ausmachen, in sich. Sie beurtheilt den physiologischen, den Temperamentscharakter, den medicinischen, den physischen, den intellectuellen, den moralischen, den habituellen, den Geschicklichkeitscharakter, den gesellschaftlichen oder umgänglichen, u.s.w. Den eigentlichen, einfachen oder zusammengesetzten, Ausdruck eines jeden dieser Charaktere im Körper, oder überhaupt im Aeußerlichen des Menschen, findet die Physiognomik. In sofern sie blos den Charakter aus dem ihm entsprechenden Ausdruck erkennen kann, sollte man sie die empyrische, und in sofern sie die Ursachen, den Grund davon angeben, und den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Ausdruck und dem Charakter selbst zeigen könnte, die theoretische oder transcendente Physiognomik nennen."
(Zitat 1)

Unter Physiognomie versteht man die Interpretation der äußeren Erscheinung, besonders der Gesichtszüge, um Temperament und Charakter einer Person zu bestimmen.

Man sagt, die ersten Überlieferungen zu diesem Thema reichen zurück bis zur Zeit des Aristoteles; allerdings finden sich bereits in der babylonischen Medizin physiognomische Grundlagen - dort jedoch meist in Zusammenhang mit Zauberei und der Götterwelt.

Die antiken Theorien der Griechen postulierten einen kausalen Zusammenhang zwischen der physischen Erscheinung und den moralischen Eigenschaften eines Menschen.

So nahm man zum Beispiel an, daß weiche Haare Furchtsamkeit, rauhe Haare dagegen Tapferkeit bedeuten - Thesen, die vor allem im Tierreich ihre Bestätigung fanden

...

Quellen:
Jaton, Anne -Marie; Johann Caspar Lavater; SV international/ Schweizer Verlagshaus, 1988
Pestalozzi, K.; Weigelt, H.; Das Antlitz Gottes im Antlitz des Menschen; Vandenhoeck+ Rupprecht, 1994
Toellner,R.; Illustrierte Geschichte der Medizin; Andreas+Andreas Verlagsbuchhandlung; Salzburg, 1986
Meyers Enzyklopädisches Lexikon
"Projekt Gutenberg"; www.gutenberg.aol.de

  • Bildnachweis:
    Alle Abbildungen aus Jaton, Anne-Marie; Johann Caspar Lavater; s.o.
    Zitat 1-3 aus: J.C.Lavater, "Von der Physiognomik", 1772
    Zitat 4 aus: Georg Christoph Lichtenberg, "Fragment von Schwanzen"

  • Anschrift der Verfasserin:
    Susanne Krell
    Burgkmairstr.56
    80686 München

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