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Klavier, wo jede fünfte Taste fehlt?

Nosoden und tierische homöopathische Substanzen existentiell bedroht

Die Diskussion der letzten Jahren um HIV und BSE-Prionen trug mit dazu bei, daß in der 2. Auflage des deutschen Homöopathischen Arzneibuches (HAB 1998) die Autoklavierung tierischer und menschlicher Ausgangsstoffe generell bei 133 °C gefordert wird. Die gleiche Forderung besteht auch für Nosoden, die bereits im HAB 1978 nur nach Sterilisation bei 121 °C weiterverarbeitet werden dürfen.

Jegliche Form von Eiweiß ist aber bei Temperaturen über ca. 45°C erheblichen Veränderungen unterworfen. Mithin wäre die pharmazeutische Qualität von vorher sterilisierten Apis, Latrodectus mactans, Lachesis usw. nicht mehr gewährleistet. Konsequenterweise müßten bereits bestehende HAB-Monographien neu gefaßt werden und vor allem völlig neue Arzneimittelprüfungen durchgeführt werden, wenn z. B. tierische Stoffe vorher generell bei hohen Temperaturen sterilisiert werden müssten. Aus diesem Grunde hat auch die HAB-Kommission auf der Verabschiedung des HAB 2/98 im November 1998 die generelle Forderung der vorherigen Autoklavierung bei 133 °C bei tierischen Ausgangsmaterialien nicht gutgeheißen. Allerdings bleibt de facto die Forderung der Viral Safety gemäß den europäischen Richtlinien für den homöopathischen Hersteller bestehen. Lediglich die Art und Weise, wie er zum Ziele kommt, ist ihm noch überlassen.

Der Auslöser für die schwierige Position der homöopathischen Hersteller bei den o.g. Stoffgruppen liegt in der europäischen Arzneibuch-Monographie "Homöopathische Zubereitungen". In ihr wird für alle Ausgangsstoffe tierischer Herkunft generell Apathogenität, d. h. Freisein von pathogenen Keimen und Viren, gefordert. Die Stellung der deutschen Hersteller zu dieser Forderung sind etwas unterschiedlich, je nach dem Schwerpunkt ihrer Produktpalette. Beispielsweise experimentiert HEEL mit UV-Sterilisation, sowie als zweiter Alternative mit der Hitzesterilisation sogenannter Zwischenpotenzen homöopathischer tierischer Wirkstoffe und testet beide Verfahren auf Eignung. Letzeres bedeutet, daß der tierische Ausgangsstoff erst wenn er in einer D4- oder D6-Potenz vorliegt sterilisiert wird, bevor die für das Produkt erforderliche Endpotenz hergestellt wird.

Aus Sicht der klassischen Homöopathie erscheinen solche Kompromisse leider unbefriedigend, da die Identität der homöopathisch geprüften mit der verschriebenen Substanz durch jeden homöopathiefremden Eingriff in den Herstellungsprozess beeinträchtigt wird. Die Übereinstimmung der Arzneien mit der Information, die wir in Arzneimittellehren und Repertorien finden, ist für jeden klassisch arbeitenden Homöopathen eine existenzielle Frage. Besonders höhere Potenzen erfordern ein exaktes Vorgehen. Wenn man bedenkt, dass jenseits der Loschmidt'schen Zahl - also etwa ab Q3 oder C12 oder D23 - selbst mathematisch die Wahrscheinlichkeit einer Kontamination bei korrektem Vorgehen in den Bereich `astronomischer' Zahlen sinkt, so scheint der Argwohn des Gesetzgebers hier eher absurd.

Die Umsetzung der europäischen Arzneibuch-Forderung ist in den verschiedenen EU-Staaten im Moment noch recht unübersichtlich. In Deutschland wie auch in Frankreich haben die Behörden bereits entsprechende Stufenplanverfahren für bestimmte Substanzen (in Frankreich für 5 Nosoden humanen Ursprungs und in Deutschland für alle von humanem Blut abgeleitete Nosoden) eingeleitet, wodurch sich die Situation für diese wichtigen homöopathischen Stoffklassen dramatisch verschärft hat. Hinzu kommt noch, daß die Beschaffung von geeignetem Nosoden-Ausgangsmaterial humanen Ursprungs mittlerweile derartig schwierig geworden ist, daß einige deutsche Hersteller bereits weltweit wegen geeignetem Spendermaterial auf der Suche sind. Die bisherigen Erfolge sind aber mehr als bescheiden zu nennen.

Die französischen Hersteller haben wegen einer entsprechenden Auflage der Pariser Behörde beim Pasteur-Institut in Paris eine entsprechende Validierungsstudie für die in Rede stehenden 5 Nosodensubstanzen durchführen lassen. Das Ergebnis wird für den Spätherbst 99 erwartet. Auch die Firma Weleda France SA hat eine entsprechende Validierungsstudie für 2 tierische Ausgangsmaterialien beim Pasteur-Institut in Auftrag gegeben, um zu klären, ob die Abreicherung durch Potenzierungsschritte und/oder Behandlung der glyzerolischen Tiefpotenzen D1, D2 bei 80 °C zu ausreichenden Verminderungen des viralen Titers führen. Diese Studien sind außerordentlich teuer, würden aber im Falle, daß sie erfolgreich verlaufen, einen erheblichen Schritt weiterführen, die Viral Safety-Problematik in den Griff zu bekommen.

Wie steht es mit den Chancen für die Nosoden bei uns? Bereits seit Einführung des HAB 1978, 2. Ergänzung, müssen Nosoden - wie oben erwähnt - bei 121 °C autoklaviert werden und den Test auf Sterilität erfüllen. Da läßt sich leider nichts mehr machen. Nun droht die gesamte Homöopathie in die Zwickmühle zu rutschen, lege artis oder lege Ph.Eur. behandeln zu müssen. Wir sollten alles dafür tun, daß die potenzierte Arzneistoffe von pharmazeutischer Seite her ein gesichertes Fundament haben.

Probleme werden voraussichtlich in Zukunft tierische Ausgangsstoffe haben, soweit sie in sehr tiefen Potenzen angewendet werden. Differenzierte Vorschriften für tiefe, mittlere und hohe Potenzen, z.B. Sterilisation von Ausgangsmaterial oder Zwischenpotenzen im `unteren' Bereich und unbehandelte Stoffe für Hochpotenzen geben den Anschein eines Ausweges. Rechtlich gesehen, würden damit jedoch aus jeder Substanz zwei bzw. drei verschiedene Arzneimittel entstehen, die eines gesonderten Zulassungsverfahren bedürften. Der so schon hohe finanzielle Aufwand stiege damit ins Unermessliche.

Für den Erhalt der klassischen Homöopathie von Bedeutung dürften die gegenwärtigen Untersuchungen des Pasteur-Institutes sein, sofern sie sich auf die Abreicherung durch Verdünnung beziehen. Sollen sie doch wissenschaftlich belegen, was der gesunde Menschenverstand ohnehin weiß: Da wird mir doch eher beim Gang zum Bäcker ein Meteor auf den Kopf fallen, als daß ich mir mit Lachesis C200 Affenfieber oder Rinderwahn hole. Denn 100%ige Sicherheit gibt es gerade im wissenschaftlichen Sinne nirgends, sondern eben nur Wahrscheinlichkeitsfaktoren. Das Ergebnis der französischen Untersuchungen im Pasteur-Institut wird für Ende 1999 erwartet.

Doch auch, wenn die Untersuchung ganz in unserem Sinne ausfällt, wird es unbedingt einer Ergänzung der Ph.Eur.-Monographie "Homöopathische Zubereitungen" bedürfen. Denn der Wortlaut der Monographie fordert gegenwärtig eben nicht den Nachweis der Ungefährlichkeit des Endproduktes sondern des Ausgangsmaterials. Die Forderung sollte aber auch die Möglichkeit, den Nachweis am Endprodukt zu erbringen, umfassen.

Folgendes sieht der Autor dieses Schreibens als vordringliche politische Ziele:

Wenn wir etwas erreichen wollen, dürfen weder Standesschranken eine Grenze bilden, noch sollten uns unterschiedliche Auffassungen um das Erbe Hahnemanns auseinanderreißen. Wir sollten jedoch wachsam sein gegenüber unterschiedlichen Interessen. Was für einen Hersteller mit Schwerpunkt: Tiefpotenzen oder/und Komplexmittel als Lösung erscheint, ist für die klassische Homöopathie noch kein Ausweg aus dem Dilemma. Dennoch möchten wir in Sachen Ph.Eur. alle Betroffenen: Patienten(verbände), Arzneihersteller, ärztliche und nichtärztliche Organisationen zur Zusammenarbeit einladen, sich an diesen politischen Aktionen zu beteiligen.

Für (notwendige) fachliche Auseinandersetzungen um die Anwendung unserer Mittel finden wir andere Plätze. Was werden uns diese auch nützen, wenn es eines gar nicht fernen Tages keine brauchbaren Mittel mehr gibt. Wer will schon auf einem Klavier spielen, das nicht mehr korrekt gestimmt ist, oder bei dem jede fünfte Taste fehlt?

Autor:
Carl Classen;

Inhaltliche Beratung und Ergänzungen u.a.:
Dr. S. Niederle, DHU und Dr. W. Stock, Fa. Heel

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Naturheilpraxis 11/99