SPEKTRUM DER NATURHEILKUNDE

Der Konstitutionsbegriff der Iridologie

Von Josef Karl


Der Konstitutionsbegriff ist mit dem naturheilkundlichen Denken seit je eng verbunden - während die Schulmedizin ihn seit längerer Zeit ziemlich ausgeklammert hat. Konstitution steht ja immer auch für Ganzheit, Anlage und Hinzugekommenes, Genotypie und Phaenotypie - und der Begriff der Ganzheitlichkeit spielt in der Naturheilkunde ebenfalls eine große Rolle (auch wenn das Ziel häufig unerreichbar bleibt).

Bild 1 und 2: rechts und links, männlich, 30 Jahre - Lymphatisch, pluriglandulärer Typ (Disposition)

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In den verschiedensten Modellen der Klassifizierung findet sich der Konstitutionsbegriff: in der Homöopathie, wo für die Mittelwahl die Konstitution ebenso erkannt werden soll, wie bei der Grunddiagnostik in der Psychopathologie, wie sie von E. Kretschmer mit der bekannten Typologie (athletisch, leptosom, pyknisch) begründet wurde. In zahlreichen Denkmodellen, die in der Naturheilkunde als Fundament diagnostischen und therapeutischen Handelns benützt werden, spielt der konstitutionelle Faktor eine große Rolle: dabei sei - stellvertretend für andere - die Humoralpathologie und -therapie genannt, zurückgehend auf Hippokrates, wiederbelebt von B. Aschner in seinen umfangreichen Schriften. Unmöglich, in diesem Rahmen eine auch nur annähernde Übersicht zu geben - darüber sind zahlreiche Bücher geschrieben worden! Erwähnen möchte ich noch die Naturrellehre von C. Huter, wachgehalten u.a. vom Kollegen G.E. Altmann (Empfindungs-, Ernährungs- und Bewegungsnaturell), die in eine ähnliche Richtung zielt.

I.

Aus diesem Wald wähle ich einen Baum aus: das konstitutions-diagnostische Feld der Iridologie. Vorausschicken muss ich, dass Einigkeit und Klarheit auch hier noch nicht herrschen - und manche mögen sich durch die Verschiedenartigkeit der Interpretation irritiert fühlen. Um gleich konkret zu werden: J. Deck und einer seiner Schüler, W. Hauser, differenzieren anders als J. Broy, der in seinem Buch 20 Konstitutionen und 6 Diathesen benennt. Allein die Definition der drei Begriffe Konstitution, Disposition und Diathese klafft auseinander: das medizinische Wörterbuch "Pschyrembel" hat nicht dieselbe wie der "Duden".

Bild 3 und 4: rechts und links, weiblich, 39 Jahre - Hämatogen, spastisch-vegetativer Typ (Disposition)

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Bild 5 und 6: rechts und links, weiblich, 69 Jahre - Mischkonstitution (die hellbraune Pigmentierung ist nicht vollständig deckend - was für eine hämatogene Iris jedoch Voraussetzung wäre)

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(Ich darf mir Gegenüberstellungen ersparen, weil sie jeder selbst leicht nachlesen kann.) Und, wie man sehen kann, die Ansichten vom Koll. Zupan (System Hense-Truw) sind andere als jene von P.v.d. Toorn - die sich wiederum nicht decken mit denen vom Koll. G. Jaroszyk (der sich an J. Deck anlehnt). Entscheidenden Einfluss auf den iridologischen Konstitutionsbegriff nehmen auch seit Jahrzehnten die Arbeiten von H.F. Herget und H. Schimmel. (Erwähnt sei beispielsweise die praktische Übersichtstafel, von der Fa. Pascoe in Gießen herausgegeben.) Außerdem gibt derzeit W. Hemm in Form eines Lose-Blatt-Werks Hinweise zum Thema.

II.

Nachstehend erlaube ich mir, persönliche pragmatische Überlegungen aus langer Praxiszeit in Schrift und Bild vorzustellen. Keineswegs gehe ich davon aus, das Ei des Kolumbus gefunden zu haben. Meine Darlegungen sind empirische und eklektisch, d.h. ich habe von den verschiedensten Autoren mir mein Bild zusammengetragen. Besondere Anlehnung erfolgt dabei an die Darstellung von W. Hauser in unserem gemeinsamen Buch "Information aus Struktur und Farbe" (W. Hauser, J. Karl, R. Stolz), verbunden mit der zehn Jahre währenden Arbeit im Felke-Institut.

Als Grund-Konstitutionen kann man unterscheiden:

1. die blaue, graue Iris als die sog. lymphatische Konstitution, d.h. von den Fließsystemen ist die Lymphe dominierend, auch im Krankheitsfall;

2. die braune (hell- und dunkelbraune) Iris, die wir der hämatogenen Konstitution zuordnen, dem Fließsystem Blut und dem Organ Leber;

3. die Mischkonstitution, die sich nach dem Mendel'schen Gesetz ergibt, wenn sich Träger von blauen und braunen Iriden "kreuzen".

Nun, soweit Bekanntes und die Frage, "was hat man von dieser Erkenntnis"?
Dies soll in der Bedeutungs-Analyse erläutert werden.

Zunächst die grundlegenden Bilder hierzu - die sicher keiner ausführlichen Erläuterung bedürfen, mit Ausnahme der Mischkonstitution vielleicht. Hier ist das Kriterium, dass der lymphatische Anteil der Iris in den äußeren Ziliarzonen noch zu erkennen ist, durchscheint. Da aber gibt es Missverständnisse: eine zentrale Heterochromie ist damit noch nicht eine Mischkonstitution! Zur Erläuterung die Bilder. Und nochmals zurück zum umfassenden Konstitutions-Begriff: die iridologische Dreiteilung kann nicht in Übereinstimmung mit jenen von E. Kretschmer oder C. Huter gebracht werden, d.h. beispielsweise, dass eine lymphatische Konstitution im iridologischen Sinn nicht einem bestimmten Typ nach E. Kretschmer oder Naturell nach C. Huter zugeteilt werden kann.

Bild 7 und 8: rechts und links, weiblich, 77 Jahre - Mischkonstitution - siehe vorher - es wurden bei den Mischkonstitutionen absichtlich keine ("leichten" Bilder ausgewählt, um auch in schwierigeren Fällen eine analytische Handhabe zu bieten

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Die Bedeutungs-Analyse würde sich wie folgt darstellen:

1. die lymphatische Konstitution:
generelle Anfälligkeit des lymphatischen Systems, Lymphknotenschwellung, Neigung zu Katarrhen und Entzündungen der Schleimhäute (obere Luftwege, Magen-Darm, ableitende Harnwege), vermehrte "harsaure-rheumatoide-allergische Erkrankungstendenz" (W. Hauser) erhöhte Fieberaktivität;

2. die hämatogene Konstitution:
Störungen der Blutsäfte (Dyskrasie), erhöhte Neigung zu Stoffwechselerkrankungen, insbesondere der Leber und zu Diabetes, schwache Fieberaktivität und verstärkte Tendenz zu chronischem Krankheitsverlauf;

3. die Misch-Konstitution:
Anfälligkeit für Gallenwegserkrankungen ("biliäre K."), Verdauungsstörungen durch enzymatische Defizite (Fermentschwäche), Dysbakterie, Schwäche des intestinalen Immunsystems.

III.

Es ist zu erkennen, dass es mit der Darstellung dieser drei Grundkonstitutionen relativ einfach ist; die schwierigere Frage ist jene nach den von einigen Autoren beschriebenen anderen Konstitutionen, sei es beispielsweise die psorische, hydrogenoide oder tuberkulinische. Wo gehören sie hin - sind es nicht doch Dispositionen oder Diathesen? Auch der Ausdruck von der Partial-Konstitution erleichtert die Übersichtlichkeit nicht. Ich kann mir kein endgültiges Urteil erlauben, schließe mich jedoch aus Gründen der Praxisnähe und Übersichtlichkeit dem Konzept von W. Hauser an. Im erwähnten Buch ist es folgendermaßen dargestellt:

Bild 9 und 10: rechts und links, weiblich, 62 Jahre Zentrale Heterochromie mit Übertritt der Pigmentierung in die dritte Zone, die sog. Blut- und Lymphzone

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Zunächst die Dispositionen:
"Die Disposition beschreibt eine durch Strukturgene bedingte Veranlagung zur Krankheitsbereitschaft und Voraussetzung zur Wirkung schädigender Einflüsse. Sie kann hervortreten oder latent bleiben.

Alle Dispositionen sind genetisch angelegt."

Wir unterscheiden zwischen 5 verschiedenen Dispositionen, wobei der Dispositions-Typ jeder der drei Grundkonstitutionen angehören kann:

Zu den Diathesen lautet W. Hauser's Begriffserklärung:
"Die Diathese beschreibt eine durch Regulatorgene bedingte Veranlagung zur Erkrankungsbereitschaft und Voraussetzung zur Wirkung schädigender Einflüsse an bestimmten Organen und Organsystemen (Lokalisation). Die meisten Diathesen sind genetisch angelegt. Die Diathese kann ererbt oder erworben sein. Sie kann hervortreten oder latent bleiben."

Wir unterscheiden zwischen 5 verschiedenen Diathesen:

Die Schwierigkeiten, zwischen angeboren und erworben zu unterscheiden, treten zutage. Persönlich bin ich der Meinung, dass bei allen fünf Diathesen eine genetische Determination vorhanden ist - wir wissen, wie häufig allergische Kinder ein allergisches Elternteil haben. Wir wissen freilich auch, dass eine allergische Reaktion auch erworben werden kann. Bei der Lipämie tritt eine Diskrepanz ebenfalls zutage: wer sehr viele tierische Fette isst, kann sie bekommen - oder auch nicht! (Und umgekehrt sind heute sehr viele Menschen von erhöhten Blutfettwerten betroffen, die wirklich von sich aus wenig dazu beigetragen haben. Die Dyskrasie kann ebenfalls angeboren sein - wir finden bereits bei jungen Menschen dieses entsprechende Irisbild. Erworben kann sie werden, wenn beispielsweise jemand jahrzehntelang stark raucht, zuviel Alkohol trinkt und eine Fehlernährung hat.

Eine Bemerkung noch zum Begriff der Übersäuerungs-Diathese: übereinstimmend sind wir im Felke-Institut der Meinung, dass "harnsaure Diathese" heute in problematischer Ausdruck ist. Auch ein anderer Autor, P.v.d. Toorn, hat dies vor einiger Zeit reklamiert: erhöhte Harnsäurewerte fand er nur bei einem geringen Prozentsatz dieser Diathese. Sicher aber sind wir, dass in der Praxis Krankheiten, die auf Übersäuerung basieren, eine große Rolle spielen. Die Wichtigkeit des Säure-Basen-Gleichgewichts wird nach wie vor in der Schulmedizin unterschätzt.

IV.

Es ist zu sehen, dass die ganze Sache nach wie vor schwierig bleibt. Alte Begriffe wie psorisch oder sykotisch sind heute schwer einzuordnen (H. Hense, J. Broy) - es bleibt zu überlegen, ob man sie weglassen kann oder ob sie beispielsweise bei der exudativen Diathese untergebracht sind. Sowohl im "Arbeitskreis für ophthalmotrope Phänomenologie nach Josef Angerer" unter der Leitung von U. v. Heimendahl, als auch vom Felke-Institut mit W. Hauser, R. Stolz, M.v. Schoenaich-Carolath-Karl und mir sind in den letzten Jahren Versuche der Abklärung unternommen worden. Auch andere Schulen und Einzelmeinungen wurden zu Rate gezogen - die Ergebnisse waren mangels Kompromissbereitschaft und Interesse enttäuschend. So wird man diese Sache wohl vorerst nicht mit Geschlossenheit in eine neue Zeit führen können.

V.

Zum Schluss noch: diejenigen Leser, welche Arbeiten von mir kennen, werden vielleicht irritiert feststellen, dass bisher der Name von J. Angerer nicht gefallen ist. Der Grund ist, dass dieser - im Gegensatz zu J. Deck - sich mit Konstitutionen nicht weiter befasste; warum, das weiß ich nicht. Auch sein Lehrer R. Schnabel ließ hier wenig verlauten. Im Grundlagenwerk J. Angerer's "Handbuch der Augendiagnostik" von 1953 ist unter dem Stichwort Konstitutionen so gut wie nichts zu finden. Ebenso ist es in der Reihe "Ophthalmotrophe Phaenomenologie". Schließlich wird es wohl so sein, wie der Mathematiker H. Hahn vor Jahrzehnten einmal schrieb: "Es zeigt sich eben auch hier, dass die Forderung nach einem absolut gesicherten Wissen eine überspannte Forderung ist - vermutlich gibt es auf gar keinem Gebiet ein absolut gesichertes Wissen." Nicht diese Erkenntnis an sich ist erstaunlich - vielmehr, dass sie ausgerechnet von einem Mathematiker kommt, wo wir doch bisher am gesichertsten wähnten, dass zweimal zwei vier sei!

Literaturverzeichnis:

  • Altmann, E.G.: "Einführung in die Kranken-Physiognomik", Helioda-Verlag, Zürich, 3. Aufl. 1988
  • Aschner, B.: "Die Krise der Medizin - Lehrbuch der Konstitutionstherapie", Hippokrates-Verlag 1931
  • Broy, J.: "Die Konstitution - humorale Diagnostik und Therapie", K. Foitzick-Verlag, München, 2. Aufl. 1992
  • Deck, J.: "Grundlagen der Irisdiagnostik", Eigenverlag 1965
  • Herget, H.F.: "Lehrbuch der Konstitutionsmedizin", Fa. Pascoe, Gießen 1996
  • Huter, C.: "Menschenkenntnis", Selbstverlag 1929 Karl, J.: "Das lymphatische System", Pflaum-Verlag, München 1989
  • Kretschmer, E.: "Körperbau und Charakter", 1. Aufl. 1921

    Anschrift des Verfassers:

    Josef Karl, Heilpraktiker
    Siegfriedstr. 10
    80803 München


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