Industrie und Forschung

Phytopharmaka und Psychiatrie:

Bericht vom Wissenschaftlichen Symposium in Hemer

30 Prozent der in der Psychiatrie eingesetzten Medikamente sind Phytopharmaka. Wenig Neben- und Wechselwirkungen, der geringe Preis und die hohe Akzeptanz sprechen für den Einsatz. Gerade multimorbide Patienten profitieren davon, daß die übrige Medikation beibehalten werden kann, da es kaum zu Interaktionen kommt. Jedoch enthalten nur standardisierte Zubereitungen die definierte Wirkstoffmenge, die die Wirksamkeit garantiert. Seriöse Hersteller liefern Wirksamkeitsnachweise durch Wissenschaftliche Untersuchungen. Aktuell wurde jetzt Johanniskraut in der Therapie depressiver Störungen bei Alkoholabhängigkeit untersucht. Weitere Phytopharmaka, die sich bei anderen Indikationen in der Psychiatrie bewährt haben sind Ginkgo biloba-, Baldrian- und Kava Kava-Extrakte.

Depression bei Alkoholentzug

Johanniskraut-Extrakt LI 160 reduziert depressive Symptomatik
Bei Alkoholabhängigkeit besteht eine 70prozentige psychiatrische Komorbidität. Neben Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen und kognitiven Störungen haben depressive Symptome eine Prävalenz von 30 %. Die Frage, ob Johanniskrautextrakt zur Rückbildung der Depression und damit zur Stabilisierung des Entzugsergebnis beiträgt, wurde in einer monozentrischen, randomisierten Doppelblindstudie untersucht. 85 alkoholkranke Patienten mit leichten und mittelschweren Depressionen erhielten nach einer initialen 14tägigen Entgiftung sechs Wochen lang 3 x 300 mg/d Johanniskraut LI 160 (Jarsin 300 ®) oder Placebo. Das therapeutische Gesamtkonzept beinhaltete darüber hinaus Entlastung durch stationäre Aufnahme, Psychotherapie und Abstinenzerziehung. Von anfänglich 119 Patienten schieden fünf infolge einer Verschlechterung der Depression, 12 aufgrund mangelnder Compliance und sieben aus anderen Gründen aus, davon insgesamt 14 aus der Placebogruppe. Ausgeschlossen von der Teilnahme waren u.a. Schwangere sowie schwer und psychotisch Depressive. Zentrales Beurteilungskriterium war die HAMD (Hamilton Depressionsskala), ergänzt durch weitere Selbst- und Fremdbeurteilungsinstrumente wie den CIDI (Composite International Diagnostic Interview) und das Globale Wirksamkeitsurteil (CGI). Gemessen wurde der mittlere HAMD-Gesamtscore am Therapiebeginn, nach 3 und nach 6 Wochen. Nach nahezu identischer Verbesserung des Scores beider Gruppen in den ersten drei Wochen reduzierte sich der HAMD-Score nur unter Verum kontinuierlich weiter. In der sechsten Woche betrug er im Mittel 6,3, für Placebo 9,3. Dieser Unterschied war ebenso mit per se 5 Prozent signifikant wie die Beurteilung durch den Arzt nach dem CGI. Auch in der Selbstbeurteilung zeigte sich eine tendenzielle Verbesserung. Diese verzögert einsetzende Entwicklung zeigt die Wirklatenz von 14 Tagen.

Im Optimalfall sollte die Therapie zwei Wochen nach Medikationsbeginn starten. Obwohl Alkoholabhängige mangels Krankheitsbewußtsein Medikamente eher ablehnen, war die Compliance gut. Ein weiterer Vorteil des Johanniskraut-Extraktes LI 160 ist, daß im Falle eines Rückfalls keine Wechselwirkungen mit Alkohol eintreten. Nur bei vier Patienten der Verum- und fünf aus der Placebogruppe traten allergische Hautreaktionen auf. Gegen Tagesmüdigkeit (3 vs.1 Patient) half eine Dosisreduktion, die interessanterweise den Therapieerfolg nicht nachweislich beeinträchtigte. Auch die Kontrolle systemischer Parameter wie Blutdruck und Laborwerte erbrachte keinen Hinweis auf unerwünschte Wirkungen.

Die Studie bestätigte, daß durch die medikamentöse Therapieunterstützung die stationäre Phase sinnvoll verkürzt und Wohlbefinden und Belastbarkeit deutlich verbessert werden. Die Stabilität der Abstinenz und die Eignung von Johanniskraut als Rezidivprophylaxe und Erhaltungstherapie muß jetzt noch weiter untersucht werden.

Schwere Depressionen:

Johanniskraut-Extrakt LI 160 auch hier wirksam
Der Johanniskraut-Extrakt LI 160 wurde auch bei der Therapie von schweren Depressionen untersucht. Er hemmt den Reuptake für Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Im Tierversuch zeigte sich eine gesteigerte Spontanmotilität, ein Anstieg der Dopaminkonzentration im Hypothalamus und eine Verringerung der zentralen Schmerzrepräsentation. Einer Metaanalyse von 13 Studien zufolge sprachen 225 von 408 Patienten auf Johanniskraut mit einem Rückgang des Depressionsgrades an. Unter Placebo waren es nur 94 von 420. Gegenüber Maprotilin zeigte LI 160 sich in der Wirkung nur tendenziell besser. Schwere Depressionen besserten sich unter 1800 mg/d Johanniskraut-Extrakt LI 160 gleichermaßen wie unter 150 mg/d Imipramin um ein Drittel. Bei jüngeren Patienten mit leichten bis mittelschweren Depressionen war LI 160 dem Imipramin überlegen. Bei älteren Patienten zeigte sich ein leichter Wirkvorteil für Imipramin, der aber durch die bessere Verträglichkeit des Johanniskraut-Präparates kompensiert wurde. Bei Patienten mit schweren therapieresistenten Depressionen oder Wahn müssen weiterhin synthetische Pharmaka eingesetzt werden.

Die Untersuchung von Schlafprofilen zeigte ab der zweiten Woche mehr Tiefschlafphasen ohne Beeinträchtigung des REM Schlafes. Im Wach-EEG traten mehr Alphawellen auf. Anhand einer Untersuchung von 3.250 behandelten Patienten wurde eine Nebenwirkungsrate von 2,43 % beobachtet. Als unerwünschte Wirkung zeigte sich in 0,5 % der Fälle eine phototoxische Sensibilisierung. Patienten sollten sich während der Therapie nicht der Sonne aussetzen. Nur in Einzelfällen ist eine Anpassung der Begleitmedikation erforderlich. So wurde ein erhöhter Bedarf von Warfarin beobachtet.

Wechselwirkungen mit Betablockern hingegen sind nicht bekannt. Bisher kann die Wirksamkeit von Johanniskraut nicht auf einen einzelnen Bestandteil zurückgeführt werden. Das Produktionsverfahren und die Konzentration der einzelnen Produkte sind damit entscheidende Faktoren für den Therapieerfolg.

Angsterkrankungen:

Kava Kava bessert Symptomatik
Unter den ZNS-wirksamen Pflanzen zeigt Kava-Kava die stärkste anxiolytische Wirkpotenz. In der Tier- und Humanpharmakologie zeigte sich eine muskelrelaxierende Wirkung und ein Anstieg des Alpha/Beta Index im EEG. In kontrollierten Doppelblindstudien waren 400-600 mg/d D, L-Kavain oder 30-210 mg/d Kava-Extrakt Placebo überlegen und Oxazepam gegenüber gleichwertig. Bei 58 Patienten reduzierte die Gabe von 3x100 mg/d die psychische und die somatische Angst deutlich. Die Wirkung trat nach sieben Tagen ein. 20 Patientinnen mit Mammakarzinomverdacht erhielten während der Wartezeit auf den histologischen Befund 3 x 50 mg/d Kava-Extrakt. Fünf berichteten bereits nach drei Tagen über weniger psychische Angst. In der Placebogruppe dieser Studie spürten nur drei eine Verbesserung. Der gerade in der Therapie von Angststörungen erforderliche langfristige Einsatz von Kava Kava wurde noch nicht untersucht. Schlafstörungen:

Hochdosierter Baldrian-Extrakt (LI 156) hilft - ohne Suchtpotential!
Die phytopharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten von Schlafstörungen sind für Baldrian am besten dokumentiert. Vorbach et al. (1996) stellten bei klinisch diagnostizierten Patienten mit Hyposomnie signifikante Verbesserungen u.a. der Befindlichkeit und des Erholtseins unter 600 mg Radix Valeriana officinalis, LI 156 (Sedonium®) gegenüber Placebo fest. Die Wirklatenz von 14 bis 28 Tagen spricht gegen den Einsatz bei akuter schwerer Hyposomnie. Baldrian erzeugt keine Abhängigkeit, kann den Benzodiazepin-Entzug unterstützen und langfristig verordnet werden. Gerade für ältere Patienten birgt die durch Benzodiazepine entstehende Senkung des Muskeltonus und der Wirküberhang eine erhöhte Sturzgefahr. Außerdem wurden irreversible Störungen des Kurzzeitgedächtnis beobachtet. Baldrian fördert demgegenüber nahezu nebenwirkungsfrei die natürliche Schlafbereitschaft. Die Medikation unterstützt in idealer Weise eine Verhaltenstherapie.

Demenz:

Ginkgo Biloba-Extrakt bessert kognitive Funktion und Alltagsbewältigung
Ginkgo biloba (z. B. Kaveri®) zeigte positive Resultate in der Demenztherapie. Es begünstigt über eine Hemmung des Plättchenfaktors die Mikrozirkulation und hat durch die Bindung freier Radikale und Verbesserung der Glukoseutilisation neuroprotektive Eigenschaften. In Studien zeigte sich ein deutlich positiver Einfluß auf kognitive Funktion und Alltagsbewältigung. Die Demenzverzögerung war unter Gingko kaum kürzer (7,8 resp. 9,5 Monate) als unter Donezepil. Die Responderraten von ACH Hemmern und Gingko waren im Mini-Mental-State-Test gleich. In einer plazebokontrollierten doppelblinden Multizenter-Studie wurden 90 Patienten mit zerebraler Insuffizienz (nach ICD-290.x.) über einen Zeitraum von 12 Wochen untersucht. Das Duchschnittsalter der Patienten betrug 62,8 Jahre. Anhand verschiedener psychometrischer Testverfahren wurden folgende Parameter untersucht: Informationsverarbeitung, Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung. Ferner wurden die Auswirkungen der Therapie auf das Sozialverhalten (z.B. Reduktion von Verhaltensanomalien) und die generelle Lebenszufriedenheit des Patienten untersucht. Nach 12 Wochen war LI 1370 Plazebo signifikant überlegen. Die Verträglichkeit der Medikation war gut, es wurden keine unerwünschten Wirkungen beobachtet.


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Naturheilpraxis 08/99