Blätter für klassische Homöopathie

Lachesis muta (Das Gift der Buschmeisterschlange)

von Gerd Aronowski


Dieses hervorragende Mittel haben wir, neben anderen Bereicherungen für die homöopathische Materia medica, dem unermüdlichen Forschungsgeist Constantin Herings zu verdanken.

Hering wurde am 1. Januar 1800 in der Nähe von Dresden geboren. Er starb am 23.07.1881 in den Vereinigten Staaten von Amerika in Philadelphia. Er gründete dort das Hahnemann Medical College of Philadelphia. Er widmete sich Zeit seines Lebens sehr ausführlich dem Studium und dem Lehren der Materia Medica. Herings Arbeit hat sicherlich einen großen Beitrag zum Aufschwung der Homöopathiebewegung in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts in Amerika geleistet. Von dort aus kam es zu einer weltweiten Verbreitung der Homöopathie.

Hering, der als Arzt einst angetreten war um Hahnemanns Lehre öffentlich zu widerlegen, bemerkte sehr bald, daß er der Homöopathie Unrecht getan hatte und wurde zu einem seiner getreusten Anhänger. Es gäbe viel über das Leben und Wirken dieses bemerkenswerten Homöopathen zu berichten. In meinen Ausführungen möchte ich mich jedoch im Wesentlichen auf den Teil, der mit der Entdeckung von Lachesis zusammenhängt, beschränken. Hering entwickelte schon in der Jugend ein großes Interesse für Botanik. So schloß sich Hering nach seinem Medizinstudium im Jahre 1826 einer vom sächsischen König finanzierten botanischen und zoologischen Expedition nach Surinam (Niederländisch-Guayana) an. Da sich Hering zu diesem Zeitpunkt schon leidenschaftlich mit der Homöopathie befaßte, nahm diese sein ganzes Interesse in Anspruch, so daß er seinem eigentlichen Auftrag der Klassifizierung von Pflanzen und Tieren gar nicht erst nachkam. So kam es dann schnell zum Bruch mit seinem Arbeitgeber und Hering, der seine Forschungen in Surinam fortsetzen wollte, betrieb vorübergehend zum Gelderwerb eine Zuckerrohrplantage. Durch seine erstaunlichen Heilerfolge bei der Lepra und anderen Tropenkrankheiten konnte er im Anschluß daran dann sehr schnell eine große homöopathische Praxis aufbauen und so seine Forschungsarbeit fortsetzen. Hering war beseelt von der Idee aus den verschiedensten Bereichen der Schöpfung Arzneien zu sammeln, diese zu prüfen und sie dann schlußendlich für die Homöopathie nutzbar zu machen. Allem voran war es sein Wunsch die Wirkung eines Schlangengiftes zu erforschen. "Unter allen thierischen Giften steht nun aber wie billig, das Schlangengift oben an, dessen als Mittel zu bedienen man nie wagen konnte...man wird wünschen, die Menge des Giftes verkleinern zu können, daß die Wirkung minder stürmisch werde und leichter wahrgenommen und beurtheilt werden könne. Das war schon früher, ehe ich noch in den Süden gelangen konnte, immer mein Wunsch, dieses berühmte Gift einst dynamisch untersuchen zu können."

Hering bemühte sich lange vergeblich eine ausreichende Menge eines Schlangengiftes zu Prüfungszwecken zu erlangen.

"So war ich denn durch all dieses sehr begierig geworden nach dem Besitze einer lebenden großen Giftschlange." "Endlich hatte ich denn das Vergnügen den 28. Juli 1828 des Mittags eine, durch den kühnen Jäger zwar halb erschlagene, aber doch noch brauchbare, große, wirklich gräßliche Giftschlange zu erhalten. Es war Trigonocephalus Lachesis, deren Biß noch weit heftiger wirkt, als der der Klapperschlange. Sie war 10 Fuß lang, wie diese Art denn hier zu Lande nie anders als von derselben Größe gesehen worden ist...Man hatte sie in der Nähe der Stadt erlegt, noch halb lebend gebunden und in einen Korb gethan. Darin hatte sie noch auf dem Wege Zeichen des Lebens gegeben."

Hering beschreibt uns in einem Aufsatz wie er bei der Arzneigewinnung vorging:

"So wie ich nun bei meiner Schlange das Drücken verstärkte, vermehrte sich das hervortretende Gift und sammelte sich an der Spitze als ein Tröpfchen. Ich hielt nun ein Papier mit einem hohlen Häufchen Milchzucker zum Empfange bereit, und fing so endlich das Tröpfchen auf. Das Gift ist dem Speichel (der Schlange) ähnlich, aber nicht so zähe; es ist durchsichtig, hell, spielt aber etwas ins Grünliche. Es rundet sich sehr leicht an der Spitze zu einem Tropfen und fiel ohne einen Faden zu ziehen, schon als ein Tröpfchen mit noch geringerm Durchmesser als dem des Weingeistes, von der Spitze ab. In den Milchzucker zog es sich sehr schnell ein...Zehn solche Tropfen habe ich auf hundert Gran Milchzucker gebracht und damit sogleich verrieben eine Stunde lang." Im Folgenden möchte ich die Hauptcharakteristika dieses außerordentlich symptomenreichen Mittels vorstellen. Beim Studium der Arzneien ist es mir wichtig einen Extrakt zu bilden, der das Wesentliche des Mittels erfaßt und gleichzeitig das Nebensächliche abtrennt. Es gibt viele Arzneimittellehren, die die Arzneien mit großer Ausführlichkeit darstellen (und diese haben ihren unbezweifelten Nutzen darin, daß man in ihnen im Bedarfsfall nachschlagen kann), aber es gibt wenige Zusammenfassungen, die uns dazu befähigen den "Roten Faden" der Arznei zu verstehen um diese dann in der Praxis treffsicher anwenden zu können. Wir können uns von anderen Schreibern inspirieren lassen und deren Erfahrungen mit verwerten. Die Ausarbeitung an der wir jedoch am meisten lernen ist aber die eigene!

Die Struktur die dieser Ausarbeitung zugrunde liegt, entspricht der, die wir seit einigen Jahren im Samuel Hahnemann Lehrinstitut Heidelberg lehren. Entsprechend ist die folgende Numerierung gewählt.

1 Gemüt

1.1 Verlangen und Abneigungen
Die Geschwätzigkeit ist eine der bekanntesten Hauptcharakteristika der Mittelwirkung. Die Kranken, die diese Mittel benötigen, haben eine außerordentliche, durch nichts zu übertreffende Redelust. Dabei wechseln die Kranken bei ihrem endlosen Redestrom oft das Thema, weswegen das Gesagte zusammenhangslos erscheint. In der Praxis reden die Patienten manchmal pausenlos ohne ihr Gegenüber zu Wort kommen zu lassen. Sie verlieren sich dabei gerne in Nebensächlichkeiten, die ihrem sprudelnden Geist einfach entspringen. Sie scheinen nichts für sich behalten zu können und kommen dabei vom Hundertsten ins Tausendste. Als Behandler wird man mehr als einmal in das Gespräch eingreifen müssen um das Gespräch wieder auf etwas Wesentliches zu bringen. Aber hüten wir uns vor Klischees; seltener treffen wir auch auf Kranke, die diesen Wesenszug nicht haben. Sie können geradezu introvertiert, ja ruhig erscheinen und trotzdem nach diesem Mittel verlangen.

1.2 Ängste
Die Patienten haben oft große Angst um ihre Gesundheit und vor Ansteckung.

Zuweilen trifft man (wie bei Hyoscyamus) auch die Furcht vergiftet zu werden an.

Hinter dieser Angst schimmert ein weiterer wichtiger Aspekt, nämlich der des übergroßen Mißtrauens hervor. Auch die Furcht vor Schlangen und die Gedanken und Träume von Schlangen ist mitteltypisch. Viele Ängste verstärken sich morgens nach dem Schlaf.

1.5 Eifersucht
Ein sehr typischer Anzeiger für unser Mittel ist zuweilen die Eifersucht, die sehr ausgeprägt sein kann. Die Eifersucht ist zumeist nicht nur auf das partnerschaftliche beschränkt, sondern kann sich auch auf Freunde, Kollegen oder die Lebenssituation fremder Menschen beziehen. Die partnerschaftliche Eifersucht kann ans Verrückte grenzende, mißtrauische Ausmaße annehmen, die eine normale Partnerschaft manchmal nicht mehr zuläßt. So können die Kranken, wenn sie einen (eingebildeten) Anlaß sehen, mit Gegenständen um sich schmeißen und sogar gewalttätig werden.

1.10 Unnatürliche Heiterkeit und Ekstase
Lachesiskranke können eine Vielzahl intensiver Gefühle durchleben. So auch eine unangemessene Vergnügtheit. Die Patienten haben manchmal ein sehr intensives Bedürfnis sich zu vergnügen und sich von ihren Problemen abzulenken.

1.11 Aggression
Aggression ist ein wichtiger Bestandteil des Mittelbildes. Die Patienten sind oft ausgesprochen impulsiv, unüberlegt, streitsüchtig und rechthaberisch. Sie legen es nicht selten auf einen Streit an und werfen ihren Mitmenschen ihre Fehler vor. Dabei können sie in heftigen Zorn ausbrechen und auch noch nach Beendigung des Streites für lange Zeit Rachegefühle hegen.

1.14 Stolz, Überheblichkeit
Auch Hochmut und Stolz ist oft ein Wesenszug Kranker, die dieses Mittel benötigen.

1.16 Kummer, Traurigkeit
Lachesis ist eines unserer hochkarätigen Kummermittel. Sehr häufig steht der Kummer in Zusammenhang mit unglücklicher Liebe und Eifersucht. Manchmal scheinen sich die Kranken jedoch auch selbst durch Haß, Klatschsucht, Neid, Mißtrauen, Streitsucht, Stolz, Unehrlichkeit, Untreue und andere Gefühlssuperlative in Situationen hineinzumanövrieren, die für sie Kummer nach sich ziehen. Beim Lachesispatienten kann es auch schon alleine dadurch zu Kummer kommen, wenn er das Gefühl hat nicht mehr uneingeschränkt im Mittelpunkt zu stehen, was er geradezu liebt. Es besteht dabei große Neigung zu Gram, die sich in körperlichen Beschwerden oder Melancholie niederschlagen kann.

1.18 Mißtrauen
Wie oben schon erwähnt, kann ausgeprägtes Mißtrauen zugegen sein. Die Kranken können das Gefühl haben man kränke sie absichtlich und schließen aus den harmlosesten Situationen einen Angriff auf ihre Person. Das Mißtrauen kann sich bis zum Verfolgungswahn steigern. Manchmal besteht der wahnhafte Verdacht, daß man den Kranken mit der täglichen Arznei vergiften wolle.

1.19 Unruhe, Hast
Unruhe, Eile und Hast sind häufige Begleiterscheinungen verschiedener Erkrankungen. Ebenso eine große seelische Aufgeregtheit.

1.21 Sonstiges
Es ist eines der wichtigsten Medikamente bei Alkoholismus und dessen Folgen. Gemüts- und Geistesmodalitäten

Verschlechterung:
durch Eifersucht; Kränkung; Kummer; geistiger Anstrengung; vor und nach der Menses.

Besserung:
durch Aufmunterung und Ablenkung.

2 Geist

2.1 Bewußtseinslage
Häufig finden wir bei den Kranken eine gesteigerte geistige Aktivität, inklusive gesteigerter Merkfähigkeit und ein besonders gutes Gedächtnis. Die Patienten können sich oft bemerkenswert an gewisse Details oder Begebenheiten in ihrem Leben erinnern. In einem späteren Stadium der Erkrankung kommt es aber auch häufig zur Abstumpfung aller Geistesfunktionen und zu Unbesinnlichkeit.

2.2 Delirien und Verwirrung
Es ist eines der Mittel, die sich in akuten Delirien bewährt haben. Vor allem ist es dann angezeigt, wenn das Delirium durch übermäßigen Alkoholgenuß entstanden ist. Es ist sowohl ein wichtiges Mittel beim "pathologischen Rauschzustand", als auch beim Delirium tremens. Das Delirium ist wie bei diesem Mittel zu erwarten, mit großer Geschwätzigkeit oder wo die Kraft fehlt doch zumindest mit andauerndem Murmeln verbunden. Die Patienten kennen dabei ihre Umgebung dabei nicht wieder.

2.3 Wahnsinn und Wahnideen
Hier wäre die Furcht vergiftet zu werden und der Verfolgungswahn bis hin zur Paranoia zu nennen. Auch die Wahnvorstellung, als stünde er unter übermenschlicher Kontrolle, ist für dieses Mittel charakteristisch. Nicht selten werden wir religiöse Wahnvorstellungen vorfinden.

2.5 Gedankenunruhe (Quantität)
Auf die Gefahr mich zu wiederholen, möchte ich an dieser Stelle nochmals auf die außerordentliche Ruhelosigkeit des Geistes hinweisen, der in manchen Fällen nie still zu stehen scheint.

2.6 Gedankenzudrang (Art und Qualität)
Die Patienten springen typischerweise von einem Thema zum anderen. Zu jedem gehörten oder geäußerten Gedanken drängen sich neue Bilder auf. Oft drehen sich die Gedanken um das Thema Sexualität.

2.8 Konzentration
Über Gedächtnis und Konzentration habe ich ja bereits schon gesprochen. Bleibt noch zu erwähnen, daß die Patienten die Tendenz zu einer Reihe orthographischer Fehler haben, selbst bei Worten, die für gewöhnlich bekannt sind.

Der Beitrag wird fortgesetzt.

Anschrift des Verfassers:
Gerd Aronowski
Uhlandstr. 8
78464 Konstanz

Diesen Beitrag in vollem Umfang finden Sie in `NATURHEILPRAXIS 07/99´.

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Naturheilpraxis 07/99