Blätter für klassische Homöopathie

Erfahrungen Dr. Voegelis mit den Potenzen

von Emil Pelz

Anmerkung:

Anläßlich des 100. Geburtstages Dr. Adolf Voegelis am 3. Oktober 1998 veröffentlichen wir den originellen Beitrag von Emil Pelz, der die Verbun-denheit und Dankbarkeit Dr. Voegeli gegenüber, die ihm auch heute noch entgegengebracht wird, zum Ausdruck bringt. Dr. Vögelis Bemühungen zur Verbreitung der Homöopathie, seine zahlreichen Veröffentlichungen, sowie seine regelmäßige abgehaltenen Seminare werden vielen Homöo-pathen in dankbarer Erinnerung sein. Unter den heutigen Homöopathen wird zum Teil kontrovers über die Dosis homöopathischer Arzneien diskutiert. Interessanterweise zeigt die Zusammenstellung der Literaturstellen von E. Pelz, daß die kleine Gabengröße auch bei Dr. Voegeli sehr aktuell war. Die kleinen, oder besser, die dem jeweiligen Krankheitsfall angepaßte kleine Dosis - in bestimmten Fällen auch nur eine Riechdosis - ist zur Heilung oft ausreichend.

Im vorliegenden Artikel werden die mißverständlichen Begriffe "Pulsatilla-Typ" bzw. "Sulfur-Typ" verwendet. Gemeint ist damit, daß sich Dr. Voegeli seinerzeit in einem Krankheitszustand befand, der aufgrund der Ähnlichkeit Pulsatilla bzw. Sulfur verlangte.

Das Redaktionsteam.

Dr. Voegeli (1898 - 1993) war in den letzten 40 Jahren seines Lebens überaus kreativ. Auch als Literat kam er auf seine Kosten, obwohl andere die etwa Kent's Repertorium übersetzten, was so seit ca. 38 Jahren in nun 14 Auflagen existierte, das größere Geld aufgrund des Preises einnahmen. Zum Thema aber Dr. Voegeli (1):

"Ich nahm also zwei Streukügelchen, die mit einer C30-Potenz von Carbolicum acidum imprägniert waren, tat sie in ein ganz kleines Reagenzgläschen, ersuchte den Kranken tief zu ausatmen und setzte ihm das Gläschen mit den Kügelchen ans linke Nasenloch mit der Anweisung, tief einzuatmen. Dann erfolgte dieselbe Prozedur am rechten Nasenloch, mit nochmaliger Wiederholung auf beiden Seiten. Kaum hatte ich aber zur Wiederholung angesetzt, als sich die gequälten Gesichtszüge des Patienten aufhellten und der ausrief: ,Träume ich oder wache ich: ich spüre nichts mehr von meinen Schmerzen!'" Ein 43jähriger Mann litt seit 6 Monaten und gräßlicher Ischialgie. Injektionen von starkwirkenden Analgetica waren bis dahin an der Tagesordnung (auch Morphin). Dr. Voegeli ging deswegen so die Dosis abschwächend vor, weil er sich des Mittels nicht ganz sicher war. Natürlich ist klar, daß er aufgrund seiner Erfahrung noch erwähnt: "Bei bereits überzeugten Patienten habe ich auch erlebt, daß sie von Familienangehörigen ausgelacht wurden, wenn sie zu Hause erzählten, daß man sie nur am Mittel hätte riechen lassen. ,Aber, wie war der Erfolg?' `Glänzend', war fast immer die Antwort."

Selber fühlte sich Dr. Voegeli im 91. Lebensjahr in einer Schwächeperiode mit auffallendem Symptom: das reichliche Trinkenmüssen zum Essen! Nun ging er so vor:

So nahm ich also Sulfur Q (LM) 18, 3 Tropfen, mit sofortiger Besserung. Als diese nach 3 Tagen wieder etwas verblaßte, nahm ich wieder 3 Tropfen des Mittels, spürte aber eine ordentliche Verschlimmerung des Allgemeinzustandes, die zwei Tage anhielt, dann aber von einer neuen Besserung abgelöst wurde. Als auch diese nach vier Tagen keine Fortschritte mehr machte, nahm ich nochmals 3 Tropfen mit genau dem gleichen Ergebnis: das Mittel schien zu stark zu wirken. Ich ging nun definitiv zur Riechmethode über, und seither machte die Rekonvaleszenz ständig Fortschritte ohne lästige Reaktionsbeschwerden..."

"Das bewirken die Hahnemannschen Potenzen, oft durch eine einmalige Gabe, die wochen-, selbst jahrelang wirken kann. Manchmal muß bei hartnäckigen Leiden die Dosis wiederholt werden, dann aber selten häufiger als 1 - 2mal pro Woche."

40 Jahre früher erlebte Dr. Voegeli eine Heilung an sich selber auch so (2):

"Im Herbst 1949 schrieb ich eine wissenschaftliche Arbeit, was im Verein mit meiner großen Praxis eine übermäßige Beanspruchung in geistiger Hinsicht mit sich brachte. Ich stand täglich um 3 Uhr morgens auf, arbeitete von 3 - 6 Uhr, legte mich dann wieder für eine Stunde nieder, um hierauf die Tagesarbeit zu beginnen. So ging es Tag für Tag während 2 Monaten, bis ein widriges Kopfweh sich einzustellen begann. Da ich diesem Übel nie im geringsten unterworfen gewesen war, plagte es mich um so mehr; weil ich aber keine Zeit hatte, mich mit meiner Gesundheit zu befassen, und weil auch nur wenig Symptome vorhanden waren, sparte ich das Kopfweh zu einem Versuch auf, den ich in den 14tägigen Winterferien durchführen wollte. An Weihnachten fuhren wir nach Adelboden und ich hatte, wie üblich, meine homöopathische Reiseapotheke, die etwa 80 Mittel enthält, mitgenommen. Den Versuch gedachte ich folgendermaßen anzustellen: Ich wollte täglich 1 - 2 Mittel nehmen, indem ich beim Buchstaben A anfing, um schließlich zu sehen, bei welchem Mittel die Heilwirkung eintreten würde. Natürlich nahm ich nicht alle Mittel, sondern nur diejenigen, die irgendwie in Betracht zu kommen schienen, während ich die aussichtslosen von vorne herein ausschaltete. Bei A nahm ich zunächst Argent. Nitr., dann Arsenicum ohne den geringsten Erfolg. Am zweiten Tag ging ich zu B über und nahm Bryonia, ebenfalls ohne jedes Resultat. So ging es bis zum 10. Tage. Ich hatte wohl schon 15 - 20 Mittel genommen, aber das Kopfweh war mit treu geblieben und ich fragte mich, ob wohl überhaupt eines der Mittel wirken würde, denn es blieben nur noch 4 Tage von meinen Ferien übrig und außerdem war ich bereits bis zum P gekommen. Unter diesem Buchstaben figurierten 4 Mittel, unter anderem Pulsatilla. Am nachmittag dieses 10. Tages war ich von einer Skitour zurückgekommen und legte mich, wieder mit meinem Kopfweh behaftet wie gewöhnlich, auf mein Bett, um mich auszuruhen und das Probemittel zu nehmen. Von den Vieren schien mir Pulsatilla noch am ehesten in Frage zu kommen, wiewohl ich durchaus keinen Pulsatillacharakter habe. Bekanntlich findet sich der letztere hauptsächlich bei schüchternen, empfindsamen jungen Mädchen, die bald himmelhoch jauchzend, bald zu Tode betrügt sind, je nachdem ob sie von ihrem Verlobten einen lieben Brief oder von der Mutter einen Tadel bekommen. Ich nahm aber trotzdem 5 Kügelchen Pulsatilla 30, freilich ohne mir große Hoffnungen zu machen. Aber kaum waren 3 Minuten vergangen, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, mein Kopf wurde klar und leicht, es war wie wenn man einen schnürenden Verband auseinander gerissen hätte, und von dieser Minute an war mein Kopfschmerz definitiv verschwunden, ohne seither auch nur ein einziges Mal wiederzukehren."

Man kann erkennen, daß Dr. Voegeli mit 50 Jahren als Pulsatilla-Typ und mit 90 als Sulfur-Typ bestens reagierten, und zwar bei der richtigen Potenz ziemlich schnell. Maßgeblich sei allemal auf das letzte besonders drastische Symptom zu achten und dessen Reaktion auf die Arznei. Ist es Jahrzehnte alt, werden die Möglichkeiten als schwach bezeichnet es in Sekunden oder Minuten zu beseitigen. Trotzdem Dr. Voegeli (3): "Heilung eines seit den ersten Lebenswochen bestehenden schauderhaften Durchfalls (bis 15 Entleerungen pro 24 Std.), der trotz ständiger Behandlung bis zum 46. Jahre ohne Unterbrechung angehalten hatte, aber dann mit einer einzigen Dosis Arsenik C 200 in wenigen Stunden zur vollständigen Ausheilung kam und bis zum Tode des Patienten mit 76 Jahren nie rückfällig geworden war."

Oder:

"Heilung eines Asthmas bei einem 12jährigen Knaben, das wenige Wochen nach der Geburt aufgetreten war und ohne jede Unterbrechung bis zum 10. Jahre bestanden hatte, trotz Behandlung durch Allopathen sowie eines Homöopathen während der letzten 4 Jahre, aber ohne die geringste Linderung, durch 5 Tropfen einer Lösung von Sulfur Q (LM) 12..."

Eugene Beauharnais Nash (1838 - 1918) wird nicht selten als ein noch größerer Kenner der US-Literatur als Kent bezeichnet. Auch noch eine schnelle Heilung von ihm, nach der richtigen Potenz (4):

"Frau J. C., etwa 60 Jahre alt, litt an einer Ischias in der übelsten Form. Ihr Bruder, ein Lehrer, war unter allopathischer Behandlung durch eine Ischias zum Krüppel geworden. Die schlimmste Zeit war morgens von 1 - 3 Uhr. Durch ihre Krankheit war sie ganz heruntergekommen. Die einzige Möglichkeit, etwas Ruhe zu finden, war, sich einen heißgemachten Sandsack auf den schmerzenden Nerv zu legen. Sie war äußerst ruhelos und wünschte, beständig den Platz zu wechseln. Es waren noch andere Symptome vorhanden, aber die obigen genügten für einen Homöopathen, das richtige Mittel zu verschreiben. Arsenicum album in der 30. und 200. Potenz wurden verschrieben, zu meinem Erstaunen ohne Erfolg. Nun wurde Sulfur gegeben, und zwar in der Annahme, daß eine Psora den Zustand komplizierte, wiederum ohne Erfolg. Mit Schrecken erinnerten wir uns an die Leidensgeschichte ihres Bruders, die ja schon viel länger als die ihrige bestand. Daher bestand für sie kein Anlaß, zur alten Schule hinüberzuwechseln, da diese einen unheilbaren Krüppel hinterlassen hatte. Es war in der ersten Zeit meiner Praxis. Ich hatte daher noch nicht viel über die 200. Potenz hinaus verordnet. Aber ich hatte eine Probe Arsen 8000 von Jenichen in meiner Praxis und, da nichts anderes nützte, entschloß ich mich, sie auszuprobieren. Sie wurde aufgelöst und brachte einen rapiden und anhaltenden Erfolg. Sie wurde in unglaublich schneller Zeit völlig beschwerdefrei und erlitt nie wieder einen Rückfall, obwohl die Ischias damals schon 4 Wochen bestanden hatte." "Äußert intensive Schmerzen mit deutlichem Brennen" sowohl die Zeit-Modalität machen Nash für das Mittel ausgesprochen sicher.

Caspar Julius Jenichen (1787 - 1849), ein Stallmeister aus Potsdam, Simeon Nicolajewitsch von Korsakoff (1788 - 1853), ein Großgrundbesitzer aus der Nähe von Moskau sowie Rudolf Flury (1902 - 1977) gebührt in erster Linie Dank für die Herstellung und Anwendung spezieller Hochpotenzen. Der Schweizer Arzt dürfte es als erster schon vor ca. 60 Jahren mit dem Q-(LM) Potenzen zu tun gehabt haben, außer Hahnemann (1755 - 1843) ab ca. 1835 versteht sich.

Literatur:
(1) Voegeli, A.: Eine Ergänzung zum Riechenlassen der Hahnemannschen Potenzen (Zeitschrift für Klassische Homöopathie 33 (1989) 253 - 256).

(2) Voegeli, A.: Heilkunst in neuer Sicht, 167 - 168. Ulm Donau 1961. Karl F. Haug Verlag

(3) Voegeli, A.: Die Dosierung in der Homöopathie (Zeitschrift für Klassische Homöopathie 32 (1988) 183 - 191).

(4) Nash, E.B.: Kasuistiken (Zeitschrift für Klassische Homöopathie XVI (1972) 132 - 134).

Anschrift des Verfassers:
Emil Pelz
Meisenweg 2
34613 Schwalmstadt

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Naturheilpraxis 01/99