M. Porchert:
"Reihe ,"Deutsche Predigten""
(je DM 24,-), "Arzneimittel-Therapie" (DM 33), "Eranos-Vorträge" (DM 60,-)
Phainon-Verlag, Dinkelscherben 1998



Prof. Manfred Porkert, Extraordinarius i.R. an der Uni München hat uns seine vielerorts verstreuten Gedanken, theoretischen Vorträge sowie Zeitungsartikel zur Chinesischen Medizin vorgelegt. Gebetsmühlenartig vorgetragene Missionspredigten vor den Eingeborenen unsrer heimischen Wissenschaftsstämme vorgetragen?

Porkert sagte selbst einmal von sich, er stünde auf den Schultern Joseph Needhams. Das stimmt in noch viel tieferen Sinne: Porkert ist der letzte große konfuzianische Gelehrte unserer Tage. Nicht nur in der immensen Breite seines Wissens, in der Fähigkeit zur höchsten Abstraktion des chinesischen Denkens auch in seinem enormen Ordnungssinn und seiner ausgefeilten Sprachlichkeit zeigt sich dies. Es ist vor allen Dingen die Tatsache, dass er rein theoretisch-sinologisches Wissen zum Gebrauch durch den praktisch tätigen Arzt vorbereitet hat. Ein stetes Kennzeichen der hohen intellektuellen Kulturleistung konfuzianischer Intellektuelle war eben dieses: der Brückenschlag vom Theoretisch-Literarischen zum Praktischen. Dies gewährte der chinesischen Kultur ihren jahrhundertelangen Vorsprung. Doch wo viel Licht, ist auch viel Schatten. Eine ganz besondere Infamie durchzieht den Streit zwischen Porkert und Unschuld. Aus der Medizingeschichte Chinas leitet Porkert die Homogenität eben dieser Medizin ab. Unschuld sieht nur Brüche, Porkert die Kontinuität mit der Folge, dass die Unschuld'sche Relativierung einer großen Beliebigkeit in der Interpretation der TCM Tür und Tor geöffnet hat, während die kategoriale Rückführung sämtlicher historischer Texte auf das grundsätzliche Erkenntnissystem uns einen sicheren und dauerhaften Gebrauch der chinesischen Klassiker ermöglicht. So ist es auch das Verdienst Porkerts, die von den Medizinklassikern in Kommentaren ausdauernd reproduzierte Begrifflichkeit der termni technici in eigener Terminologie niederzulegen, die gerade dem überzeitlichen Universalismus der Chinesischen Medizin gerecht werden. Vor diesem Hintergrund sind die gesamten Vorträge, Schriften und Gedanken der "Deutschen Predigten" zu verstehen.

Porkert vollzieht - typisch für die Nachkriegs-Moderne - eine Abstraktion, wie sie bei uns durch die vor allen Dingen in der Theologie üblich entmythologisierende Textkritik geprägt wird. Die reiche philosophische Diskussion des alten China, das breite empirische Material der Jahrhunderte, die ausgefeilte Patho-Physiologie der Chinesischen Medizin, die sprachlich stringente Phänomenologie der Befundbeschreibung, tragen alle das Merkmal einer über Jahrhunderte weg gleichbleibender qualifizierender Ansprache.

Dieses in sich eigenständige medizinische Gebilde der Chinesischen Medizin mit seiner ihm eigenen, aus der menschlichen Natur entspringenden Erkenntnismodalität, welches einen Reichtum sondersgleichen an Sensualität und bei alledem an praktischer Nähe zum Kranken aufweist, setzt Porkert im Gegensatz zu dem auf das Zentimeter-Gramm-Sekunden-System gegründete westliche Medizinsystem, welches für uns der einzig verbindliche Standard zu sein scheint. Dies, indem mit dem Gegensatzpaar "kausal-analytischer" und induktiv-synthetisch" die unterschiedliche Vorgehensweise der beiden unterschiedlichen Medizinen gedeutet werden. Kausal-analytisch will meinen, dass unsere Ursache- und Wirkungsdenken angewiesen ist auf einen zeitlichen Ablauf, ein stattgehabtes Geschehen, welches - materiell konkretisiert - sodann gemessen wird. Davon unterscheidet sich prinzipiell die induktiv-synthetische Methode der chinesischen Medizin. Gleichwohl jede Erscheinung dieser Welt immer auch eine zeitliche Ausdehnung hat, ist der chinesische Arzt grundsätzlich an der Beschreibung der momentanen, aktuellen Ereignisse interessiert. Er beschreibt das Zusammenwirken der fünf Hauptorgane zur jetzigen Zeit und macht eine qualitative Aussage über ihr momentanes Zusammenwirken. Natürlich kennt die Chinesische Medizin auch Krankheiten, die längere Zeit bestehen, bewertet diese aber stets unter dem Aspekt der Gegenwärtigkeit.

Ein ganzes Werk ist der vermeintlich vorwissenschaftlichen chinesischen Arzneimittel-Therapie gewidmet. Zunächst erscheint es ja fragwürdig, warum Arzneimittel mit ernteabhängig unterschiedlichem Wirkstoffgehalt, unterschiedlicher Regionen, unterschiedlichen Fertigungs- und Trockenmechanismen unterworfen, zu einem verlässlichen Medikament zusammengefügt werden können. Porkert entwirft ein System der rationalen Arneimittelprüfung, zeigt überhaupt, wie ein TCM-Arzt mit eindeutigen Qualifikationen kommen kann.

Die Eranos-Vorträge zwischen 1979 und 1987:
Diese Veranstaltung in Ascona ist nicht irgendeine: dahinter stecken kluge Köpfe. Ein Ort lebendigen hochgeistigen Austausches in diesen Eranos-Vorträgen werden viele Fragen, die sich vor allen Dingen aus der persönlichen, ärztlichen, therapeutischen Praxis ergeben, in einer wunderbaren Abstraktion wiedergegeben.

Die Frage der Sinngewissheit der eigenen Beobachtung, die Eindeutigkeit der Zuordnung psychosomatischer Entitäten in das Gebilde der TCM, die Bewertung des Erscheinungsbild des Patienten überhaupt, das sagt sich alles so leicht dahin. Wer aber als Kind der exakt forschenden Naturwissenschaft auf einmal auf den Grundlagen der Chinesischen Medizin eine Typologie seiner Patienten entwickeln lernen soll und dabei nicht in die symbolische Sprachlichkeit der galenischen, der Signaturen-Medizin zurückfallen möchte, der wird erkennen, was für ein enormer Erkenntnissprung dies ist. Porkert gibt ihnen Gerüst und stellt sie einen vitalen dialektischen Prozess zweier großer Kulturen, die sich nicht nur aus der Vergangenheit heraus befruchten.

Diese Bücher wirken dem dümmlichen Diskussionsleerlauf zwischen "Schulmedizin" und "Alternativmedizin" mit ihren ganz grundsätzlichen Gedankenanstößen entgegen.

Das, was schon historisch in "Konstanten im Wandel" über die chinesische Kultur gesagt wird - hier hat ein Sinologe die Quintessenz chinesischen Denkens in die gelehrte Fachwelt Europas getragen. Eine zunehmend größer werdende Ärzteschar hört diesem Prediger in der Wüste gebannt zu.