Alchemie

C. Priesner/K. Figala (Hrsg.)
Verlag C.H. Beck, München,
412 Seiten, 40 Abb., Ln., DM 68,--

Schon von alters her bemühte man sich, allerdings nur am Rande des jeweils vorherrschenden Kulturlebens, durch eine formale Naturerkenntnis in den vielgestaltigen Materiebildungen ein höheres Ordnungsprinzip aufzuspüren, das die natürlichen Veränderungen erfasst und eine Art Nachahmung der angetroffenen Abläufe erlaubt. "Zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen" ( heißt es, auf die Zielsetzung des Wissenschaftlers bezogen, in Goethes "Faust" (Teil I). Wissensdurst aus spielerischer Neugier (homo ludens ( homo faber) heraus, gekreuzt mit einem geradezu naiven Optimismus darüber, von außen her, dem inneren geheimnisvollen Wesen der Natur auf die Schliche zu kommen, waren demnach zwei Triebfedern, alchemistische Studien zu betreiben. Die Ergebnisse aus dieser Wahrheitssuche halten zwar, bis auf die wenigen zufälligen "Abfallprodukte", nach heutigem Wissenschaftsverständnis der Überprüfung durch logische und experimentelle Beweisführungen nicht stand, bereiteten aber den Boden für den modernen Physikalismus. Unter dem Stichwort "Isaac Newton" wird das doppelgleisige Experiment, später vom Kausalnexus der Wissenschaftsmethodik vollständig aufgesogen, nochmals schön deutlich. Eine Entwicklung, gegen die sich Goethe unablässig sträubte und deswegen Newtons Optiklehre verwarf, wohl in Unkenntnis von dessen Pseudonym.

Ein weiterer Anlass zur Alchemie liegt in den magischen Anziehungspunkten des Unheimlichen, des Dunklen und Verschleierten (wie zum Beispiel die Hexenbraukünste im Mcbeth den Vorhang dazu heben) in ganz unterschiedlichen Kulturkreisen, die zu Überlegungen anregten, die Welt als Wandlungssymbol aufzufassen und daraus die Arbeitsmethode zu entwickeln, durch Welterkenntnis die Selbsterkenntnis zu ermöglichen, also ein dynamischer Vorgang der Identifikation (des Adepten) durch die Symbolarbeit ( hinzugewonnene Intuition vorausgesetzt. Während der erstgenannte Anstoß zu alchemistischen Handlungen etwas dem Menschen vorgegebenes widerspiegelt, entspricht der andere Grund der Aufforderung einer ethischen Verbesserungslehre: Suche und Entdeckung des Steins der Weisen und Veredelung des Materiezustandes in Gold sind die alten Motive.

Wie sich die äußeren Umstände und Hilfsmittel gestalteten und wie sich die wichtigsten Kreaturen verhielten, darüber berichtet oder vermittelt das recht umfangreiche "Lexikon der hermetischen Wissenschaften" des renommierten Verlags. Den Schlüssel zum Verständnis gegenüber einer ansonsten "hermetisch" verschlossenen und geschichtlich auch abgeschlossenen Unterrichtung der Nachkommenschaft, besonders angesichts lückenhafter Überlieferung und Forschungen, ist nicht einfach. Fehlwuchs und zwielichtige Gestalten, betrügerische Goldmacher, über die der Leser in prägnanten Lebensbildern oder unter anderen Stichwörtern mehr erfährt, versperren gelegentlich den Blick auf das eigentliche Wesen der Alchemie, das auch in äußeren Details unterzugehen droht. Darin vernachlässigt: die aufzuwerfende Frage (die alle Gnostiker interessierte und Goethe bei seinen morphologischen Studien bewegte): Wie wird Naturerkenntnis von Wahrheitswert auch ohne (einseitiges) rationales Denken möglich? Die Beweggründe zur "echten" Alchemie, ob nun Existenz ohne Essenz, Dasein ohne Wesen möglich sei, was sich ( nach Schopenhauer ( noch nicht einmal denken lässt, werden vom Buch nicht erreicht; müssen aber auch nicht erreicht werden; wo es doch ( als Nachschlagewerk konzipiert ( genügt, den zahlreichen Quellen distanziert die Fakten herauszulesen und eine alphabetisch angeordnete Übersicht der Systeme und Probleme zu geben; ohne die an namhafte historische Persönlichkeiten geknüpfte Alchemiekritik zu vergessen, die ja immer darauf beharrte, nun endlich den untrüglichen Beweis in Form des Lapis philosophorum oder des Goldmetalls vorgeführt zu bekommen. Ein Kunststück, das bisher offenbar nur unter Betrug gelang und oftmals zur Einkerkerung bis Hinrichtung des Blenders führte. Hierin erweist sich die Nachprüfung esoterischer Lehren neuerlich als fraglich, und mit einer gewissen Reserviertheit vermeidet das Buch, die rationale Schallmauer zu durchbrechen, so dass es dem Leser obliegt, alchemistische Operationen einzuleiten oder aufzusuchen; wo ihn ( wenn er sie nur fände ( neue Materialisationsformen illuminierten.