Adelbert von Chamisso/Hrsg. Ruth Schneebeli-Graf
"Illustriertes Heil-, Gift- und Nutzpflanzenbuch"
Dietrich Reimer Verlag Berlin, 391 Seiten, mit 8 Farbtafeln, 29 schwarz-weiß Tafeln; DM 58,--



Das der Weltumsegler und Wahl-Preuße Adelbert von Chamisso (1781 - 1838) systematische botanische Studien unternahm, ist den Lesern des schattenlosen "Peter Schlemihls" vielleicht gar nicht bekannt. Im Jahre 1827 erschien die jetzt als Reprint vorliegende "Naturkunde", mit über 3000 Pflanzennamen, die den europäischen Kenntnisstand der damaligen Zeit widerspiegelt und in der etliche exotische Pflanzen aufgenommen wurden, denen Chamisso während seiner langen Reise mit einem russischen Segler etwa sieben Jahre zuvor begegnet ist. Einen Leckerbissen hierfür gibt der angefügte pflanzengeographische Exkurs ab, den Chamisso - schon von todbringender Krankheit befallen - ehemals als Vortrag gestaltete (wohl anläßlich seiner Aufnahme in die Königliche Akademie der Wissenschaften zu Berlin). Er war anerkannter Sammler und Kustos des Berliner Herbariums, so daß ein intensiver Kontakt mit Heilpflanzen genauso selbstverständlich war, von denen etliche in dieser "Naturkunde" deshalb Eingang fanden. Natürlich sind die Hinweise auf die Giftigkeit, die Heilwirkung oder auf das volkstümliche Brauchtum mit heutigen Wissensmaßstäben nicht zu vergleichen, doch ist es für den interessierten Leser immer wieder spannend, die Indikationen und Erfahrungen von einst und jetzt zu studieren, um dann zu bemerken, wie stilvoll damals, zu Zeiten der Romantik, mit der Schöpfung umgegangen wurde, und wie vertiefend kühl heutzutage die reine Stofflichkeit technisch geprüft wird. Es ist also noch ein Stück menschliche Seelenwärme in den Studien Chamisso's zu spüren, ansonsten hätte z. B. der lyrische Zyklus "Frauenliebe und Frauenleben", den Robert Schumann vertonte, durch ein und dieselbe Person so nicht entstehen können; umgekehrt nun die schwärmerische Absichtslosigkeit des Naturerfassens aus den nüchternen Untersuchungsräumen verbannt zu sein scheint und der Nutzen im Vordergrund steht. Das vermittelt uns dieses schöne Werk, das die bildlichen Textunterbrechungen von den zierlichen Vorlagen aus dem Anschauungsunterricht für die Jugend (ca. 1850) bezieht, als Gesamteindruck: die Gegenstände (Objekte) sind unverändert faszinierend, aber der Forschungsgedanke und die Bewußtseinsart der Botaniker müssen sich geändert haben! Es ist das Verdienst der Herausgeberin, jene vergangene Aura mit glücklicher Hand restauriert zu haben, ungemerkt von der Tatsache, daß dieses Buch ohne die kapitalmächtige Industrie, welche auf Laborarbeit im genannten Sinne zurückgreift, vermutlich nicht entstanden wäre. Besten Dank, nach allen Seiten!