Alchemie im Mittelalter, Ideen und Bilder von Zosimos bis Paracelsus

Bernhard Dietrich Haage

1996, Artemis & Winkler Verlag, 285 S. mit 59 Bildtafeln, DM 78,-

"Die wesentliche Voraussetzung für die Vollkommenheit in dieser Kunst ist die Praxis und das Experiment. Wer nicht praktiziert und nicht experimentiert, kommt in nichts zum Erfolg."
Geber arabicus

Wie bei der Lektüre deutlich wird, orientierten sich leider beileibe nicht alle Alchemisten an dieser Maxime. Doch haben wir, wie wir vielfach annehmen, mit "der Alchemie" tatsächlich eine Wissenschaft, vor uns, die während des Mittelalters regelrecht an den Universitäten gelehrt wurde, oder war sie eine Kunst, eine Geheimlehre, die nur speziell Eingeweihten, Initiierten, zugänglich war? Ging es den Praktizierenden um das Goldmachen, ging es ihnen um Selbstverwirklichung, um ein moderneres Schlagwort aus dem Sprachschatz C. G. Jungs zu verwenden? An welcher wissenschaftlichen Tradition orientierten sie sich? Wie stark war der Einfluß der arabischen Mystik auf den Westen, das mittelalterliche Abendland, und last not least, welchen Einfluß hatte Paracelsus, der weitgereiste Feldscher und Wundermann auf die Weiterentwicklung der Alchemie zur Iatrochemie?

Der Germanist und Medizinhistoriker Bernhard D. Haage führt vor allem den Neuling in einer verzwickten Sache kenntnisreich und informativ in die Tücke der Materie ein. Ein anstrengender aber durchaus lohnender Weg liegt vor dem Leser, der sich bemüht, mit dem Autor durch den Dschungel der Verwirrungen und vielfältigen Traditionen in der Ideengeschichte der Alchemie zu folgen. Die größte Schwierigkeit, die dem sich mit der Alchemie Beschäftigten begegnet, ist ihre sulfurische Komponente, will sagen, ihre Neigung zur Flüchtigkeit und Ungreifbarkeit. Der Autor behält allerdings auf seinem Weg den Boden stets unter den Füßen, verschreibt sich keiner pseudoesoterischen panglossen Welt- und Sinnerklärung und greift nicht bereitwillig nach den vielfältig gebotenen Möglichkeiten zur Spekulation - was wohl jenen Menschen, die Gewißheit und nicht fragende Wissenschaft suchen, mißfallen mag - aber das Werk versteht sich, in meinen Augen, als Verbindung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, gemäß dem zu behandelnden Gegenstand.

Auffällig ist vor allem eine von Anbeginn an der Alchemie anhaftende Ambiguität, jener Januskopf an dessen Sonnenseite sich ernsthaft forschende Männer in Theorie und Praxis orientierten und dessen Kehrseite bereitwillig Scharlatanen und Betrügern Unterweisungen erteilte. Vor allem, so scheint es, waren die Adepten der ausgehenden Antike und des Mittelalters ernsthafter auf der Suche nach dem "Lapis Philosophorum" (Stein der Weisen) als die Alchemisten der Neuzeit, wo die Alchemie bekanntlich vorwiegend als theoretischer Überbau von Geheimgesellschaften ihre seltsamsten Sumpfblüten trieb. Das mit umfangreichem wissenschaftlichen Apparat und einer ausführlichen Bibliographie versehene Buch kann man nur empfehlen.