Philip M. Bailey:
"Psychologische Homöopathie, Persönlichkeitsprofile großer homöopathischer Mittel, "
544 S., geb., Verlag Delphi bei Droemer, ISBN 3-426-29029-4, DM 56,90



Die Hahnemannsche Homöopathie hat seit ihrer Entdeckung viele "Moden" über sich ergehen lassen müssen. Man denke an die klinische, anthroposophische und Komplexmittel-Homöopathie. Neuere Bestrebungen richten sich darauf, die Geistes- und Gemütssymptome unserer Materia medica zu verdeutlichen und zu typisieren. Dieser Trend begann in den angelsächsischen Ländern. Schon die Kentschen Arzneimittelbilder lassen zaghafte Versuche in diese Richtung erkennen. Dem Ideal Hahnemanns entsprach es, in die Arzneimittellehre nur solche Zeichen und Symptome aufzunehmen, die ordnungsgemäß durchgeführte Arzneimittelprüfungen hervorgebracht hatten. "Alles sei nur reine Sprache der Natur." Bisher ist kein Mittel so ausgiebig geprüft worden, daß es die ganze Fülle seiner Symptome preisgegeben hätte. Dazu war die Zahl der Prüfer und Prüferinnen stets zu gering. Viele Mittel haben Krankheitszeichen getilgt, die vorher bei ihnen nicht aufgeführt wurden. Wenn ein Mittel mehrfach das gleiche, vorher bei ihm unbekannte Symptom heilt, darf das Symptom in die Arzneimittellehre aufgenommen werden. In dem Bemühen, die seelischen Hintergründe der Gemütssymptome aufzudecken, lassen manche Schriftsteller ihrer Phantasie freien Lauf. Das gilt zum Beispiel für Catherine R. Coulter (Portraits homöopathischer Arzneimittel - Haug-Verlag). Ihre beiden Bände sind durchaus lesenswert. Frau Coulter begibt sich jedoch in den Bereich der Spekulation, wenn sie versucht, einzelne Mittel den Gestalten aus Romanen, Filmen und Bildgeschichten zuzuordnen. Gemütssymptome und Habitus reichen in der Regel nicht aus, ein homöopathisches Mittel zu bestimmen. Auch Bailey verfällt in diesen Fehler. Seine Erfahrungen bezieht der Autor aus seiner Tätigkeit als homöopathischer Arzt und Psychoanalytiker in verschiedenen Erdteilen (zur Zeit lebt er in Perth/Australien). Aus der naturgemäß beschränkten Zahl von Patienten, die ein Therapeut während seines Berufslebens behandeln kann, läßt sich kein endgültiges Bild der psychischen Symptome eines Mittels gewinnen. Daran sollte der Leser denken, wenn er sich in solche Monographien vertieft. Es handelt sich um einseitige Darstellungen, um individuelle Erfahrungen und Auslegungen. Bailey schickt jedem Mittel ein Schlüsselwort, den Grundzug voraus, zum Beispiel Natrium muriaticum: unterdrückter Seelenschmerz, Phosphor: Mangel an Grenzen; Veratrum album: Dogmatismus; Thuja: sexuelle Schuldgefühle. Damit engt er den Gesichtskreis weiter ein. Solche "Aufhänger" stützen das Gedächtnis, treffen jedoch nicht immer zu. Die Gefahr liegt darin, das passende Mittel im konkreten Fall zu verfehlen, weil man seine Vorstellung an ein Schlagwort gekoppelt hat. Der Verfasser gliedert die Abschnitte durch weitere Eigenheiten des Mittels. Bei Arsen zum Beispiel finden wir: der Pedant, Ängstlichkeit, körperliche Unsicherheit, Argwohn, Bodenständigkeit, der Aristokrat, Entschiedenheit, Ärger und Selbstsucht, Beziehungen. Seine Ausführungen untermauert Bailey oft durch Zitate aus den Kentschen Werken. Längere Abhandlungen werden zusammengefaßt. Wo er es für sinnvoll hält, geht er auf den körperlichen Typus ein. Der Wert solcher Darstellungen liegt in ihrer Anschaulichkeit. Schon einmaliges Lesen hinterläßt eine lebhafte Erinnerung an die Arzneimittelpersönlichkeit. Die körperlichen Symptome können in diese psychischen Umrisse gedanklich leichter eingefügt werden. Dem Anfänger und dem Könner in der Homöopathie kann ich dieses Buch empfehlen.