Homöopathische Kombinationsarzneimittel

Entstehung, Entwicklung und Selbstverständnis

Otto Weingärtner

Essen: KVC, 2007 , VII, 73 S., 2 Abb., 1 Tab., kart., 7,50 Euro

ISBN 978-3-933351-73-9

Otto Weingärtner gibt mit seinem vor nun bereits fünf Jahren erschienenem Buch einen interessanten Einblick über die Geschichte der homöopathischen Komplexarzneimittel und über die damit verbundenen Streitigkeiten. Weingärtner ist Mathematiker und Grundlagenforscher. Dass er sich einem solchen Thema widmet, beruht auf seiner Anstellung bei der Pharmazeutischen Fabrik Dr. Reckeweg & Co. GmbH. Seine Danksagung geht auch an diese dafür, dass sie ihm die Möglichkeit gibt, Untersuchungen grundsätzlicher Fragen zur Homöopathie und Kombinationspräparaten durchzuführen. Eine Fülle von interessanten Details zu den homöopathischen Kombinationsarzneimitteln, wie es richtig heißen müsse, macht dieses Buch zu einer wichtigen Lektüre, sowohl für Komplexmittelhomöopathen als auch für Einzelmittelhomöopathen.

Schon in seinem Vorwort unterstreicht Weingärtner, dass homöopathische Einzelmittel und Kombinationen daraus viel miteinander zu tun haben. In einer Einleitung geht er auf den Konflikt der beiden Lager, Einzelmittel- und Komplexhomöopathie, ein und hebt die Arbeit von A. Sahler hervor, die die Literatur zur Komplexhomöopathie aufgearbeitet habe (Andrea Maria Sahler: Homöopathische Komplexmittel. Ihre historische Entwicklung, ihre Begründer und ihre gegenwärtige Bedeutung, München: Pflaum 2003). In den folgenden Kapiteln skizziert Weingärtner die Medizin vor Hahnemann, die Grundprinzipien der Homöopathie, er macht Aussagen zu Doppelmitteln und homöopathischen Einzelmitteln, die nach einer Indikation angewendet werden. Ein sehr interessantes Kapitel über die fixen Kombinationen homöopathischer Arzneimittel geht auf die Entwicklungsgeschichte und die kontroverse Diskussion über diese Arzneimittel ein. Mit den Kapiteln zur Wirksamkeit von Kombinationsarzneimitteln und der Verordnungspraxis rundet Weingärtner das Thema ab. In einem Anhang geht der Autor noch auf die Herstellung von D- und C-Potenzen ein, skizziert die Q/LM-Potenzen, schreibt über Potenzierungsverfahren und die Herstellung homöopathischer Kombinationsarzneimittel.

Auch wenn das Buch als gelungen zu bezeichnen ist, soll hier auf kleine Unschärfen hingewiesen werden. Nicht etwa fehlende Sorgfalt des Autors ist dafür verantwortlich, sondern Ungenauigkeiten und Widersprüche in der klassischen Homöopathie selbst. Die Doppelmitteldiskussion wird gerne als Argument der Komplexmittelbefürworter angeführt, was nach Weingärtner nicht richtig ist, da ein homöopathischer Komplex anders zusammengesetzt ist als dies für die Doppelmittel angegeben wurde. Diesen wichtigen Unterschied benennt Weingärtner treffend und zu Recht. Dass Hahnemann keinen wirklich nachvollziehbaren sachbezogenen Grund angegeben habe, weshalb er sich von den Doppelmitteln abwandte, wie Weingärtner an anderer Stelle schließt, ist nur insofern nachvollziehbar, als unter der Voraussetzung, dass Doppelmittel einzig als Ausnahme in bestimmten Fällen angewendet würden, von Hahnemann hätte akzeptiert werden können. Als eine Begründung für die Verwendung von Komplexmitteln führt diese Feststellung Weingärtners nicht weiter.

Zur begrifflichen Festlegung auf homöopathische Kombinationsarzneimittel bezieht sich Weingärtner im Kapitel 5 unter der Überschrift Die Fakten, auf die Publikation von F. Schmid: Homöopathische Kombinationsarzneimittel – Eine Richtlinie zur Bewertung. Komplexe seien in der Natur vorkommende Zusammensetzungen und Kombinationen herbeigeführte Zusammen- setzungen. Diese Festlegung erscheint aus verschiedenen Gründen schwierig. Der Begriff Komplex ist für Komplexarzneimittel gebräuchlich und wird sicher weiter neben dem durchaus sinnvollen Begriff der Kombinationsarzneimittel bestehen bleiben. Dass im Unterschied dazu Einzelmittel, die aus einer chemische Verbindung bestehen, in der Homöopathie als Komplexe bezeichnet werden sollen, ist ungewöhnlich und unverständlich. Der Begriff Komplex wird alleine für bestimmte Verbindungen in der Chemie verwendet, wie unter dem Begriff Komplexchemie definiert ist. Dass Verbindungen wie beispielsweise Natriumphosphat oder Calciumsulfat in der Homöopathie nun als Komplexe bezeichnet werden, ist zu hinterfragen und auf seine Sinnhaftigkeit zu überprüfen.

Wenn Weingärtner als Grundprinzipien der Homöopathie neben dem Simileprinzip und der homöopathischen Arzneimittelprüfung am Gesunden das Prinzip der Potenzierung nennt, ist das insofern richtig, als es in der Fachliteratur der Homöopathie so zu lesen ist. Ist die Potenzierung wirklich als Grundprinzip zu verstehen? Grundsätzlich können auch rohe Arzneistoffe nach der Ähnlichkeitsregel angewendet werden. Und das hat Hahnemann auch getan. Die dabei gemachten Erfahrungen zeigten, dass es erforderlich war, in möglichst kleinen Gaben die Arzneimittel zu dosieren. Mit der Zeit hat sich die Herstellung der Arzneimittel zu der Form der Potenzen entwickelt. Die Notwendigkeit, in kleinen Gaben zu dosieren, gilt auch für die Anwendung dieser. Die Anwendung von Arzneimitteln in potenzierter Form war bei der Begründung der Homöopathie noch nicht entwickelt. Dennoch war Homöopathie vollständig erklärt. Das Potenzierungsverfahren ist eine charakteristische Besonderheit, die sowohl bei den Therapeuten als auch bei den Kritikern besondere Beachtung findet. Zu den zwingend notwendigen Grundprinzipien gehört sie nicht, auch wenn damit ein geeigneter Weg beschritten wird, Arzneimittel in eine milde und für die homöopathische Anwendung geeignete Form zu bringen. Dass Hochpotenzen auf den ganzen Menschen wirken und niedere Potenzen nur auf bestimmte Organe oder Organsysteme, ist ebenso eine Behauptung, die der Homöopathie zu Eigen ist und dringend kritisch hinterfragt werden muss.

In der Zusammenfassung versucht Weingärtner, die Wirkung der Komplexmittel von der der Einzelmittel zu unterscheiden. Der Krankheitsbegriff der Komplexmittel würde in einem viel engeren, lokalen Sinne gehandhabt als in der Einzelmittelhomöopathie, und es sei nicht von Krankheit als Störung der Lebenskraft die Rede. Für die Einzelmittelhomöopathie legt er die Wirkung des geistartigen Anteils des Arzneistoffs auf die verstimmte Lebenskraft fest, die es umzustimmen gelte. Diese Schlussfolgerungen ergeben sich aus den Inhalten der homöopathischen Fachliteratur. Das Problem der Homöopathie liegt aber genau darin, dass gemachte Aussagen nicht auf ihre Gültigkeit überprüft worden sind. So zeigt das genaue Studium der Grundlagenwerke, dass es sehr wohl auch in der Einzelmittelhomöopathie lokale Krankheiten (einseitige Krankheiten) gibt, die, zumindest zu Beginn der Therapie, auch als solche zu behandeln sind. Auch die Behandlung bestimmter (feststehender) akuter Krankheiten bedarf nicht der Therapie des ganzen Menschen, sondern alleine dieser Krankheit. Sicher wird von Einzelmittelhomöopathen auch Gegenteiliges behauptet. Deshalb ist die kritische Auseinandersetzung nötig. Auch die Verwendung des Begriffs der Lebenskraft ist problematisch. Die Lebenskraft war zu Hahnemanns Zeit ein wissenschaftliches Modell, dessen er sich bediente, um die Homöopathie besser erklären zu können. Heute ist der Begriff Lebenskraft in der Naturwissenschaft nur noch im historischen Sinne bedeutend. Macht es wirklich Sinn, den Begriff Lebenskraft in wissenschaftlichen Argumentationen zu verwenden?

Weingärtner ist ein Wissenschaftler, der sich intensiv in die Materie eingearbeitet hat. Sein Buch bringt interessante Fakten zum Thema. Die hier aufgezeigten Unschärfen untermauern seine Auffassung, dass Komplexmittel- und Einzelmittelhomöopathie sehr viel miteinander zu tun haben und dass ein Dialog notwendig ist.

Roger Rissel