Lehrbuch Homöopathie

Band 2: Praktische Hinweise zur Arzneiwahl

Gerhard Köhler

Haug Verlag, Stuttgart: 2011, Band 2: Praktische Hinweise zur Arzneiwahl, 7. aktualisierte Aufl. 383 S., 5 Abb., 9 Tab., geb., 89,95 Euro

ISBN 978-3-8304-5420-5

Dass einem nur etwa 200 Seiten starken Lehrbuch der Homöopathie Band 1, das die Grundlagen und Anwendung zum Gegenstand hat (siehe voranstehende Buchbesprechung), ein zweiter Band folgt, ist naheliegend. Der Untertitel „Praktische Hinweise zur Arzneiwahl“ lässt gespannt sein auf den Inhalt. Finden sich hier nun die im ersten Band zu kurz gekommenen Arzneimitteldarstellungen und Fallbeispiele? Gibt es hier Hinweise, wie das Studium der Materia Medica in Angriff genommen werden soll, worüber in Band 1 kein Wort verloren wird? In der Einführung, die Gerhard Köhler in diesem Band 2 gibt, finden sich darauf interessante Antworten.

Ein vollständiges Symptom kann eine sichere Arzneimittelwahl ermöglichen. Weisen Art und Ort der Störung auf die klinische Diagnose, können ergänzend dazu Auslöser, Modalitäten und Empfindungen zur „differenzialtherapeutischen Arzneiwahl“ führen. Ein vollständiges Symptom könne so charakteristisch und deutlich sein, dass es das gesamte Krankheitsbild verkörpere, schreibt Köhler. Damit würde es bei der Suche nach dem ähnlichen Arzneimittel zum „Erkennungszeichen der heilenden Arznei (Georg von Keller).“ Dieser interessante Weg der Arzneimittelfindung (es werden in Band 1 auch noch andere Wege angeführt) ermöglicht es Köhler, im Band 2 bewährte Indikationen vorzustellen, die mit Hilfe der näheren Bestimmtheit eines Symptoms zu einer individuell passenden Arzneiwahl führen. Dabei bleibt das Individuelle auf die Symptomatik der Hauptbeschwerde fokussiert. Köhler ist sich darüber im Klaren, dass diese Vorgehensweise an Grenzen stößt, die eine Repertorisation notwendig machen können. Dennoch sei dieser Weg ein wertvoller Einstieg für den Praxisanfang und nicht nur das. Auch der schon erfahrene Praktiker tue gut daran, sich an dem zu orientieren, was sich in der Praxis bewährt hat, natürlich immer unter der Voraussetzung, dass die Symptomenähnlichkeit in jedem Krankheitsfall überprüft wird. Dieser Weg ist für Köhler auch einer, der geeignet sei, Arzneimittelkenntnis zu erwerben, bei dem die Praxis einen hohen Stellenwert einnehme. Über die Anwendungsmöglichkeit einer Arznei bei bestimmten Indikationen erschließe sich nach und nach das gesamte bewährte Wirkungsspektrum.

Wie sieht das in der Konzeption dieses Buches nun aus? Der Aufbau, geordnet nach Krankheitsgruppen, entspricht anderen Büchern mit bewährten Indikationen. So finden sich insgesamt 20 Kapitel, wie Infekte, Schwindel, Atemorgane, Herz und Kreislauf, Bewegungsorgane, Kopf, Hals – Nase – Ohr, Geschlechtsorgane, Physisches Trauma und Psychisches Trauma, um nur einige zu nennen. Die Kapitel sind in Unterkapitel gegliedert und die bewährten Arzneimittel mit ihren die jeweilige Indikation betreffenden Symptomen angeführt, ergänzt durch weitere mittelweisende Symptome.

Köhlers Konzept ist gut nachvollziehbar. Es schlägt zudem eine Brücke von der klassischen zur klinischen Homöopathie. Selbstverständlich sind bewährte Indikationen nicht in jedem Erkrankungsfall ausreichend, um aus ihrer Reihe ein homöopathisches Arzneimittel zu wählen. Es können darunter allerdings passende Heilmittel sein, die sich in einer Repertorisation der Symptome eines Patienten nicht an den vorderen Stellen zeigen. Deshalb sollte auch ein klassisch arbeitender Homöopath die bewährten Indikationen kennen. Ein klinisch arbeitender Homöopath hingegen muss die Symptomenähnlichkeit im einzelnen individuellen Fall überprüfen und sich bewusst sein, dass er in dem Arzneipool der bewährten Indikationen nicht immer das passende Heilmittel finden kann. So gesehen ist der Graben zwischen diesen beiden Richtungen der Homöopathie weniger tief als es in der Geschichte den Anschein hat.

Kritik ist an Köhler wie auch an vergleichbaren Büchern insofern zu üben, als die angegebenen bewährten Indikationen eine Auswahl der dem Autor bekannten Arzneimittel darstellt und geprägt sind von den konkreten Erfahrungen des Autors. Bei bestimmten Indikationen fehlen Arzneimittel, die sich anderen Homöopathen wirksam gezeigt haben. Dieser Aspekt sollte dem Lernenden stets bewusst bleiben. Im Übrigen ist der Pool von bewährten Arzneimitteln bei einer Indikation generell nicht abgeschlossen. Köhlers Konzept ist geeignet, um Kenntnisse über die Wirkungen der Arzneimittel zu erlangen. Es benötigt allerdings ergänzend ein Arzneimittelstudium, in dem auch auf die Herkunft und die toxikologische und physiologische Wirkungsweise der Arzneien eingegangen wird. Das leistet Köhlers Lehrbuch nicht. Auch Behandlungsbeispiele, die das Lernen der Materia Medica sinnvoll ergänzen, fehlen in Band 2.

Roger Rissel