Lehrbuch Homöopathie

Gerhard Köhler

Haug Verlag, Stuttgart: 2011, Band 1: Grundlagen und Anwendungen. 10. unveränd. Aufl., 210 S., 9 Abb., 15 Tab., geb., 59,99 Euro

ISBN: 978-3-8304-7479-1

„Der Köhler“ ist vor vier Jahren in einer vollständig überarbeiteten neunten Auflage bei Hippokrates erschienen. Die aktuelle 10. Auflage ist nun unverändert im Haug Verlag erschienen.

raucht die Homöopathie solch ein Lehrbuch überhaupt? Sind die Schriften Hahnemanns und die seiner bedeutenden Nachfolger nicht ausreichend, um die Behandlungsmethode Homöopathie zu erlernen? Immerhin haben schon Zeitgenossen Hahnemanns wie etwa G.H.G. Jahr Lehrbücher der Homöopathie geschrieben. Heute sind neben den Lehrbüchern der „alten Meister“ einige von zeitgenössischen Homöopathen aktuell. Da sind die sechs Bände „Weiterbildung Homöopathie“, herausgegeben von Gerhard Bleul, die als Begleitbuch für die Weiterbildungskurse zur Erlangung der Zusatzbezeichnung Homöopathie fungieren und das „Lehrbuch der Homöopathie“ von Gennepper und Wegener zu nennen. Auch Otto Eichelberger hat eine Lehrbuchreihe mit vielen Fallbeispielen und Arthur Braun eine „Methodik der Homöopathie“ veröffentlicht. Auch wenn allein aus der Existenz von Lehrbüchern der Homöopathie nicht zu schlussfolgern ist, dass diese wichtig sind, so zeigt dies doch, dass namhafte Homöopathen ein solches Lehrbuch für notwendig erachteten.
Welche Qualitäten muss ein Lehrbuch haben? Nun, es sollte gut strukturiert und klar die Grundlagen der Homöopathie darstellen. Die Anwendung der Methode Homöopathie sollte richtig und nachvollziehbar vermittelt werden, damit sie erfolgreich in der Praxis angewendet werden kann. Entspricht „Der Köhler“ diesen Anforderungen?

Köhlers Lehrbuch Homöopathie ist nach wie vor ein beachtenswertes Lehrbuch der Homöopathie. Die erste Auflage erschien bereits 1982, vor nunmehr 30 Jahren. Dass es nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch in Englisch, Holländisch, Italienisch, Russisch, Spanisch und Ungarisch verlegt wird, weist auf die Bedeutung hin, die dieses Lehrbuch hat. Im Vorwort lautet es zutreffend: „Seine besondere Qualität bezieht das Werk aus der geradlinigen Sprache und Didaktik von Gerhard Köhler; […]“. Ist es das, was ein Lehrbuch ausmacht? Ja, und das ist es auch, was dieses Lehrbuch von anderen deutlich unterscheidet.

Die Gestaltung des Bandes lässt dies schon auf den ersten Blick erkennen. Schon mit dem Layout wird eine klare Struktur gegeben. Jedes Kapitel wird mit einer trefflichen Einleitung vorgestellt. Es werden im Text Abschnitte mit wesentlichen zusammenfassenden Inhalten blau hervorgehoben. Das gesamte Buch und die einzelnen Kapitel sind klar und nachvollziehbar in Unterkapitel unterteilt.

In sieben Kapiteln werden die wesentlichen Grundlagen zur Anwendung der Homöopathie verständlich gelehrt. Woher kennen wir die Wirkungen der homöopathischen Arzneien, wie wird ein Fall aufgenommen, was gibt es über die Symptome zu wissen, welcher Art sind sie und wie können sie gewichtet werden, welche Wege führen zur Arzneiwahl? Arzneigabenlehre und Reaktionen werden neben einem einleitenden Kapitel, den Besonderheiten der chronischen Krankheiten und besonderen Krankheitsformen gelehrt. Das ist eine sehr übersichtliche Einteilung der wesentlichen Inhalte der Methode Homöopathie. Was in diesem Lehrbuch fehlt, ist eine Anleitung, wie das Studium der Arzneimittel zu bewerkstelligen ist. Es überrascht, dass Köhler zu dieser immensen Herausforderung nichts schreibt (siehe auch Rezension zu Band 2). Wie klar und differenziert die Kapitel behandelt werden, überzeugt, und Aspekte, die heute gerne zu kurz kommen, werden deutlich angesprochen, so zum Beispiel die Frage der Sorgfaltspflicht bei der Erhebung der Anamnese und die Notwendigkeit, unklare Befunde weiter abzuklären, die Anwendung der LM/Q-Potenzen (vereinfacht) oder die Dosierung an die Reaktion des Patienten anzupassen. Dort wo es in der Lehre der Homöopathie Widersprüche gibt, benennt Köhler sie deutlich, wie zum Beispiel in der Frage der Dosierung der homöopathischen Arznei: „Die Frage nach der angemessenen Dosis wird auch von vielen erfahrenen Lehrern sehr unterschiedlich beantwortet. […] Das Problem der angepassten Dosis ist meines Wissens nicht oft diskutiert worden. In der Literatur finden sich, außer im ‚Organon‘, diesbezüglich kaum Hinweise.“ Ein Beispiel dafür mag im Kapitel „Dauer und Stärke von Erstreaktion und Nachwirkung“ der Hinweis auf ein Merkblatt, das den Q-Potenzen der Fa. Gudjons beiläge, sein, das „die nochmalige Verdünnung mit abgekochtem Wasser vor der Einnahme empfiehlt; danach, so wird dort angegeben, soll man diese Lösung über zwei Stunden hinweg schluckweise zu sich nehmen. Dies unterstütze die milde und nachhaltige Wirkung der Q-Potenzen.“ Diese Art der Anwendung, in kurzen Abständen ein ganzes Glas voll Arzneilösung schluckweise einzunehmen, widerspricht den Dosierungsvorgaben Hahnemanns. Auf wen geht diese Einnahmeempfehlung zurück? Erinnert sie nicht sehr an die „Heiße 7“, einer Anwendung der Biochemie nach Schüssler bei Krämpfen oder Koliken? Vorsicht, es sind heftige Erstwirkungen durch solche Dosierungen zu erwarten, wenn das Arzneimittel gut gewählt ist. In der 7. Auflage (1999) ist dieser Hinweis nicht enthalten. Ist dieser dem Bearbeiter der Neuauflage zu verdanken?

Interessant ist, wie kritisch Köhler zu den Aussagen bedeutender Lehrer der Homöopathie steht: „Lesen Sie bitte die Originalliteratur Hahnemanns, auch wenn es zu Anfang Mühe bereitet, die altertümliche Ausdrucksweise aufzunehmen. Leider habe ich bei der Lektüre von Sekundärliteratur häufig den vagen Verdacht, dass deren Autoren die Originale nicht gründlich genug aufgenommen haben oder zu viel Eigenes dazu mischen, ohne eine erkennbare, saubere Trennung von Eigenem und Übernommenem vorzunehmen.“ Dieser Verdacht kann als bestätigt gelten, und die Forderung Köhlers ist zu unterstreichen. Diese Kritik gilt auch für sein eigenes Lehrbuch, zum Beispiel im Hinblick auf die Chronischen Krankheiten/ Miasmen, die Heringsche Regel, Aussagen zur Potenzwahl und das Merkblatt von Gudjons. Die Aufforderung Köhlers, die Originalliteratur zu studieren, entspricht folgerichtig dem Buchkapitel zum Organon der Heilkunst, das die inhaltliche Struktur dieses Grundlagenwerks dem Lernenden näherbringt. Ebenso sind Begriffsdefinitionen im Anhang „Homöopathie von A-Z“ eine wichtige Hilfe für den Studenten der Homöopathie. Sie können darüber hinaus als wissenschaftlicher Anspruch Köhlers verstanden werden. Dieser zieht sich wie ein roter Faden durch das Lehrbuch und tut der Homöopathie sehr gut.

Roger Rissel