Die Gesetzmäßigkeit der Miasmen

Die Mathematik der menschlichen Immunantwort auf Krankheiten

Dr. Prafull Vijayakar, übersetzt von Sabine Waldherr-Bliem

Herausgeber/Verlag: Kristina Lotz, Ergoldsbach 2004, 172 S., € (D) 39,80/€ (A) 40,20

ISBN 978-937121-04-8

Hahnemanns Theorie der Chronischen Krankheiten ist Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen unter den Homöopathen. Sie wird entweder total abgelehnt oder mit Enthusiasmus interpretiert und ausgebaut. Bei der ganzen Diskussion ist ein wichtiger Fakt, dass Hahnemanns Konzept auf dem Kenntnisstand seiner Zeit beruht. So fordert der Autor schon in seinem Vorwort dazu auf, die Erkenntnisse der Naturwissenschaft in die „Miasmentheorie“ einzubeziehen. Er versuche durch Forschungsergebnisse aus Physik, Chemie, Biologie, Immunologie, Genetik und Embryologie „die Miasmen“ verständlich zu machen. „Bravo, Herr Vijayakar!“ möchte man rufen, denn dies ist eine notwendige Aufforderung für Homöopathen, die mit ihren Anschauungen in der Medizingeschichte hängen geblieben sind. Hohe Erwartungen werden vom Autor hier geweckt, und es stellt sich die Frage, wieweit Vijayakar selbst der Forderung nach Wissenschaftlichkeit mit seinen Konzepten gerecht wird.

Das Buch gliedert sich in 33 Kapitel. Das Vorwort des Autors wird ergänzt durch ein Vorwort des Herausgebers, einer Danksagung und einer Seite „Über den Autor“. Am Ende des Buches stehen Schlussfolgerungen, eine Bibliographie und die „Miasmatische Tabellen der Unterdrückungen“.

In Kapitel 1 wird der Weg Hahnemanns zur Entwicklung der Theorie der Chronischen Krankheiten mit Zitaten aus dem Organon und den Chronischen Krankheiten skizziert. In den folgenden Kapiteln gibt der Autor eine Einführung in moderne medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse bis hin zur Zellularpathologie und Immunologie.

In Kapitel 7 wird dann das neue Verständnis der Miasmen verkündet. In Anlehnung an die verschiedenen pathophysiologischen Abwehrmechanismen der Zelle ordnet Vijayakar die drei Miasmen folgendermaßen zu: Psora = physiologische Verteidigung, Sykose = konstruktive Verteidigung, Syphilis = destruktive Verteidigung. Vijayakar spricht auch von Entzündung und Irritation bei der Psora, Wachstum bei der Sykose und Destruktion bei der Syphilis.

Interessant ist die Behauptung in Kapitel 8, da die Zelle nur über drei Abwehrmechanismen verfüge, könne es auch nur drei Miasmen geben. Eine solche Festlegung aufgrund eines Analogieschlusses ist falsch, wenn neben einer Ähnlichkeit, die sich hier auf Krankheitsprozesse und die Zahl Drei beschränkt, ein wesentlicher Unterschied zwischen den in Analogie gesetzten Erscheinungen nachweisbar ist.

In diesem Zusammenhang sei an dieser Stelle nur einmal die Frage aufgeworfen, ob Hahnemanns Postulat der drei chronischen Miasmen heute noch wissenschaftlich haltbar ist oder aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht infrage gestellt werden muss?

Bis zu Kapitel 14 führt Vijayakar dann aus, wie sich die drei Miasmen auf den Körper auswirken und in Kapitel 15 bis 18 im Gemüt der Patienten. In den weiteren Kapiteln begegnen dem Leser dann Ausführungen dazu, was Miasmen auch Gutes mit sich bringen würden, der Bedeutung in Träumen, was das Altern mit Miasmen zu tun habe und was im Hinblick auf die Hering-Regel bedacht werden müsse. Auch zur tri-miasmatischen Materia Medica und zur Rubrikenwahl folgen Kapitel. Ein Kapitel zu Krebs und „Praktische Hinweise“ beschließen den Hauptteil des Buches. In seinen

Schlussfolgerungen zeichnet Vijayakar den Einfluss der Miasmen über die Krankheit hinaus auf die Kultur und unsere Lebensweise.

Ist die „Gesetzmäßigkeit der Miasmen“ wissenschaftlich fundiert, wie Vijayakar uns glauben machen will? Es gibt keine kritische Reflektion darüber, die Konzeption Hahnemanns vor dem aktuellen Kenntnisstand zu betrachten. Hahnemann konzipierte seine Lehre vor dem Hintergrund des aktuellen Kenntnisstandes der Wissenschaft und Medizin seiner Zeit. Sollte nicht an erster Stelle gefragt werden, wie sein Konzept heute aussehen müsste? Den deutschsprachigen Ausgaben der „Chronischen Krankheiten“ ist ein kritisches Wort von Klunker vorangestellt, das bemerkenswert ist. Leider scheint Herr Vijayakar dies nicht in den indisch- oder englischsprachigen Ausgaben gefunden zu haben, oder ignoriert er es nur? Das Buch „Die chronischen Krankheiten“ von Ann Carolin Ulrich leistet hier einen guten Beitrag zu diesem von Vijayakar sträflich vernachlässigten Aspekt. Aus dem methodischen Vorgehen Hahnemanns ergeben sich Schwächen, die durch den Wissensstand seiner Zeit bedingt sind. Er konnte die Symptome von Sykosis und Syphilis abgrenzen. Alle anderen chronischen Krankheitssymptome subsumierte Hahnemann unter dem Begriff Psora.

Warum setzt Vijayakar das von Hahnemann Geschriebene als unumstößliche Wahrheit? Dürfen wir nicht die Erkenntnisse Hahnemanns auf ein aktuelles wissenschaftliches Niveau bringen? Müssen wir das nicht sogar? Möglicherweise möchte Vijayakar ja genau das.

Es gelingt ihm nur nicht, weiler lediglich auf den ersten Blick Zusammenpassendes auflistet und leider nicht wirklich wissenschaftliche Qualitäten erkennen lässt.

Vor diesem Hintergrund überrascht die Aufmerksamkeit, die den Aussagen und Vorträgen Vijayakars unter den Homöopathen in Deutschland zugemessen wird. So sprechen die Herausgeber vom Autor als dem „König“ oder dem „Löwen der Homöopathie“. Immer noch zieht der Guru mehr interessierte Homöopathen an als didaktisch gut gemachte Seminare und Literatur. „Sei kritisch!“ ist ein wesentlicher Aspekt, den der Rezensent bei seiner Ausbildung an der SHL-Akademie gelernt hat, und dies sei allen Homöopathen ans Herz, oder besser den Verstand gelegt.

Roger Rissel