Effiziente homöopathische Behandlung

Ein strukturiertes Konzept für den Praxisalltag

Heiner Frei

Haug Verlag, Stuttgart 2008, 360 S., 12 Abb., 4 Tab., geb.€ [D] 49,95/€ [A] 51,40/sFr. 82,90

ISBN 978-3-8304-7273-5

Von Heiner Frei ist bereits im Jahr 2005 im selben Verlag das Buch Die homöopathische Behandlung von Kindern mit ADS/ADHS erschienen, in dem berichtet wird, dass es gelungen sei, die Wirksamkeit der Homöopathie wissenschaftlich zu belegen. Das dabei von Frei angewendete methodische Vorgehen zur Arzneimittelfindung erscheint somit als besonders geeignet und effizient. Im nun hier zu besprechenden Buch, das im vergangenen Jahr erschienen ist, stellt Frei seine Methode der Arzneimittelfindung für alle Krankheiten vor. Das Buch ist gegliedert in die Abschnitte Grundlagen, Praxis und Materia Medica. Zuerst werden die von Hahnemann gelegten Grundlagen der Homöopathie dargestellt und diese um Aspekte, die auf Bönninghausen zurückgehen, erweitert. Die Arbeitsweise mit dem „Therapeutischen Taschenbuch“ wird erläutert und dabei das Vorgehen Bönninghausens, die Prüfungssymptome in ihre Elemente zu zerteilen und so einer Neukombination zugänglich zu machen, erläutert. Der Autor geht ebenso auf die Geniussymptome und Bönninghausens Umgang mit polaren – gegensätzlichen – Symptomen einer Arznei ein. Im Hinblick auf die Rangordnung der Symptome legt Frei fest, dass unter den „eigenthümlichen“ und „charakteristischen“ Symptomen (ORG 6 §153) besonders und fast einzig die Modalitäten zu verstehen seien. Er führt als Beleg dafür den §133 an, der bei der Arzneimittelprüfung auf die Bedeutung der „genauen Bestimmung“ „dieser oder jener Arzneibeschwerde“ durch die Modalitäten dient. Vergleichbar bedeutend sei eine Causa. Geistes- und Gemütssymptomen sowie den Empfindungen hingegen attestiert Frei einen Mangel an Zuverlässigkeit, sowohl in den Arzneimittelprüfungen als auch in den Patientenaussagen bei der Anamnese. Zu Recht kritisiert Frei eine heute verbreitete Überbetonung von Gemütssymptomen und grenzt die Wesensart des Patienten, die auch schon in gesunden Tagen bestand, zur Arzneifindung aus. Sichere Gemütssymptome, die Krankheitswert haben, in ihrer Bedeutung auf den niedrigsten Rang der Hierarchisierung zu stellen, muss hingegen hinterfragt werden.

Die dargestellten Grundlagen erweitert der Autor um eine „Polaritätsanalyse“ und repertoriumsspezifische Checklisten und Fragebögen. Dass Fragebögen, welche Repertoriumsrubriken abfragen, in der homöopathischen Anamneseführung ein heikles Instrument sein können, ist hinlänglich bekannt. Wohl deshalb gehen Gypser, von dem das Geleitwort stammt, als auch der Autor im Vorwort darauf ein. Das Repertorium wird dabei überbewertet und die Wahrnehmung der Krankheitserscheinungen des Patienten auf die enge Schablone des Repertoriums begrenzt. Die zweite Optimierungsmaßnahme „Polaritätsanalyse“ ist ein Zahlenspiel mit den Graden von Modalitäten bei Arzneimitteln, die auch eine entgegengesetzte Modalität aufweisen. Die Differenz der Grade wird bei allen relevanten Modalitäten addiert, und ein hohes Ergebnis weise dann das entsprechende Arzneimittel als besonders angezeigt aus. Weist eine Arznei die der Patientenmodalität entgegengesetzte in einem deutlich höheren Grad auf, ergebe sich daraus gar eine Kontraindikation für die Arznei.

Frei baut sein Konzept auf Aussagen von Bönninghausen auf. Eine kritische Reflektion der Methode Bönninghausens lässt er dabei nicht erkennen. Freis Konzept stellt eine Arzneimittelfindungsmethode dar, bei der Modalitäten mit der Möglichkeit der Neukombination und der Berücksichtigung von Polaritätsdifferenzen ganz im Vordergrund stehen. Es stellen sich auf diese Weise Arzneimittel zur Wahl, die zumindest bisher ungebräuchlich bei bestimmten Erkrankungen waren, wie etwa Cicuta bei einer Otitis media. Kann dies im Grunde als eine Erweiterung der Anzeigen für bisher selten oder nicht angewendete Arzneimittel bei bestimmten Beschwerden angesehen und damit begrüßt werden, muss der kategorische Ausschluss bewährter Arzneimittel nachdenklich machen. Dies liegt in der Überbetonung des Repertoriums einschließlich der Polaritätsanalyse. So schrieb schon v. Keller 1983 in einem Aufsatz: „Das Repertorisieren ist kein starres Schema, es ist lediglich Teil des Denkprozesses, den der Patient im Arzt in Bewegung setzt und der in der Arzneimittelwahl endet.“ (ZKH 27, S. 226–231) In der Methode von Frei steht das Repertorium so sehr im Vordergrund, dass Vorsicht beim Nachmachen anzuraten ist.

Die vielen Fallbeispiele, die Frei im Praxis-Teil seines Buches vorstellt, lassen das Manko seiner Methode offensichtlich werden. Jedem Praktiker, der sich dem spontanen Anamnesegespräch stellt und dabei die vom Patienten sicher beobachteten näheren Umstände wahrnimmt, erscheinen die in den vorgestellten Erkrankungsfällen erhobenen Daten schablonenhaft einseitig. Die differenzierte Symptomatik von Nebenbeschwerden bleibt im Dunkeln. Bei den chronischen Erkrankungen fehlen Krankenbiographie und Familienanamnese. Ob sich eine Modalität, wie Wärmeverschlechterung oder Bewegungsverschlechterung, auf einen aktuellen Krankheitszustand bezieht oder ein Allgemeinsymptom darstellt, bleibt unklar. Dies mag für die Freische Methode vernachlässigbar sein. Grundsätzlich führt es aber in puncto Symptomenerhebung zu Unschärfen über das, was der Patient an sich beobachtet und welche Rolle Erkrankungen in der Vorgeschichte bzw. der Familie spielen. Das Fallbeispiel Scharlach im Kapitel Kinderkrankheiten soll die genannten Probleme der Methode illustrieren. Ein 6-jähriger Junge hat ein für die Scharlacherkrankung typisches Krankheitsbild mit Fieber, ausgeprägten Schluckbeschwerden, Himbeerzunge, entzündetem Rachen, geschwollenen Halslymphknoten und dem Scharlachexanthem. Frei wendet erfolgreich Hepar sulfuris calcareum an. Ist die Wahl dieses Arzneimittels durchaus nachvollziehbar, macht der Ausschluss von Belladonna, das sich als Spezifikum für diese Erkrankung seit 200 Jahren bewährt hat, nachdenklich. Ist an der Methode von Heiner Frei nicht ein grundsätzlicher Fehler, wenn bewährte Arzneimittel durch sein Verfahren ausgeschlossen werden? Wer hier die individuelle Arzneiwahl anführt, hat die Bedeutung von Hahnemanns Spezifika nicht realisiert.

Ob Kollegen mit diesem Verfahren genauso erfolgreich behandeln können wie der Erfinder, muss abgewartet werden.

Die hier geäußerten kritischen Worte stellen die Leistungen Freis keineswegs infrage. Er hat den Mut, seine Arbeit dem Fachpublikum vorzulegen, damit andere von seiner Erfahrung profitieren können. Dafür verdient Frei Anerkennung und Dank. So erst ist ein kritischer Umgang mit seiner Position möglich, die alleine auf die Sache der hier dargestellten Methodik der Homöopathie bezogen ist und als ein kleiner Beitrag, die Homöopathie in der Zukunft wirklich effizienter zu machen, verstanden werden möchte.

Im letzten Abschnitt finden sich die 133 Arzneimittel des therapeutischen Taschenbuchs von Bönninghausen in einer übersichtlichen Kurzdarstellung, in der Frei auch den Genius der Arznei herausgearbeitet hat.

Das Buch schließt mit einem umfassenden Literaturverzeichnis, einem Verzeichnis der dargestellten Fälle und einem Sachregister.
Die Auseinandersetzung mit diesem Buch von Heiner Frei lohnt sich auf jeden Fall. Jedem Leser sei dabei empfohlen, eine kritische Aufmerksamkeit walten zu lassen.

Roger Rissel