Samuel Hahnemann: Krankenjournal D38 (1833–1835)

Transkription und Kommentarband von Monika Papsch

Hrsg.: Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart, Haug Verlag, Stuttgart 2007
2 Bd., 164 S./330 S., geb., Euro [D] 89,95/ EuroA] 92,50/CHF 144,–

ISBN 978-3-7265-0

Samuel Hahnemann hat die Symptome seiner Patienten und die Verordnungen von 1799 an bis zu seinem Tode systematisch in Krankenjournalen notiert. Auf diese Weise verfasste er 55 Bände, von denen lediglich der erste Band als verschollen gilt. Die Herausgabe der Transkription dieser Krankenjournale ist in der Medizingeschichte einzigartig, denn von kaum einem anderen Behandler sind vergleichbar umfassende Aufzeichnungen gemacht worden und erhalten geblieben. [Die Krankenjournale von Clemens von Bönninghausen, ebenfalls im Besitz des Instituts für Geschichte der Medizin (IGM), sind ähnlich umfangreich und stehen noch am Anfang ihrer Bearbeitung.] Der ehemalige Leiter des IGM, Dr. med. Heinz Henne, begann in den 1960er-Jahren mit der Transkription der Bände D2–D4, die zu einem späteren Zeitpunkt auch kommentiert wurden. Erst 20 Jahre später folgte die Transkription des Bandes D5 von Helene Varady erstmals mit einem ausführlichen Kommentar im Rahmen ihrer Dissertation in Humanbiologie.

Zwischenzeitlich wurden weitere sechs Krankenjournale transkribiert, zum Teil auch übersetzt und kommentiert. Weitere fünf werden zurzeit bearbeitet.
Die Kommentierungen sind weitgehend an einem gleichbleibenden Schema orientiert, sodass Entwicklungen der Praxis Hahnemanns über die Jahre hinweg verfolgt werden können.
So geht auch Monika Papsch im Krankenjournal D38 auf die Patientenschaft Hahnemanns ein und untersucht das Verhältnis Männer und Frauen, den Anteil der Kinder, die in Hahnemanns Praxis kamen, und den Stand der Patienten, vom Adeligen bis zum Tagelöhner und Hausangestellten. Es wird der Frage nachgegangen, aus welchem Einzugsbereich die Patienten kamen – Hahnemann praktizierte zu dieser Zeit in Leipzig –, und ein Kapitel ist der Behandlung von Tieren gewidmet.

Neben diesen Erörterungen befasst sich Monika Papsch auch mit der Therapie selbst und den angewendeten Arzneien. Sie analysiert, welche Potenzen Hahnemann in dieser Zeit anwandte, welche Rolle das Riechenlassen an der Arznei spielte, wie Hahnemann dosierte und wie häufig die Gabe wiederholt wurde.
Auch zur Anwendung von Doppelmitteln existiert ein Kapitel, und auf Placebogaben wird eingegangen.
Spätestens dieser Teil der Dissertation muss die Aufmerksamkeit des homöopathischen Praktikers wecken, denn hier zeigt sich, wie Hahnemann die Homöopathie in der Praxis ausübte.

Die an den Patienten gemachten Beobachtungen und deren weitere Verwendung ist zweifellos der spannendste Teil der Dissertation. Die medizinhistorische Forschung in diesem Bereich gibt uns differenziertere Aufschlüsse darüber, woher einzelne Symptome in der Materia Medica stammen, und je nach Herkunft auch darüber, wie deren Zuverlässigkeit einzustufen ist. Mit einem Ausrufezeichen hat Hahnemann Symptome gekennzeichnet, die durch ein Arzneimittel geheilt oder deutlich gebessert wurden. Es lässt sich nachweisen, dass Hahnemann diese Beobachtungen in die Vorworte zu den Arzneimitteln bei den Heilanzeigen eingefügt hat. Konnte Hahnemann nach der Arzneianwendung an seinen Patienten neue Symptome feststellen, die er auf die Arzneiwirkung zurückführte, trug er das Kürzel „NB“ an dem Symptom ein. Dieses Kürzel steht nach M. Wettemann für „Nebenbeschwerde“ und nicht, wie von Helene Varady angenommen, für „nota bene“ (merke wohl!). Recherchen zeigen, dass diese Symptome von Hahnemann in die Materia Medica übernommen worden sind, immer dann, wenn er eine neue Auflage vorbereitet hat. Die Materia Medica Hahnemanns basiert also keinesfalls nur auf toxikologischen Beobachtungen und Symptomen der Arzneimittelprüfung am Gesunden. Die Forschungsarbeiten an den Krankenjournalen legen offen, dass auch Beobachtungen am Patienten eingeflossen sind. Diese Symptome müssen deshalb nicht unbedingt fraglich sein. Es ist jedoch wichtig für Studenten und Praktiker zu wissen, mit was sie lernen und arbeiten. Papsch weist auch auf einen weiteren Aspekt aus dem von M. Mortsch bearbeiteten und erst kürzlich erschienenen Krankenjournal D22 hin. Mortsch äußert dort den Verdacht, dass Hahnemann systematische Arzneimittelprüfungen an seinen Patienten durchgeführt hat. Dieser Verdacht wird manchen Freund Hahnemanns erschüttern, doch auch hier gilt, dass es wichtig ist, um diese Umstände zu wissen. Die Leis-tung Hahnemanns, eine zukunftsweisende Arzneimitteltherapie begründet und praktikabel gemacht zu haben, bleibt davon unberührt.

Interessant ist auch, dass die Doktoranden, die sich um die Aufarbeitung der Krankenjournale kümmern, keineswegs nur Studenten der Medizin oder Medizingeschichte sind.

Papsch ist Pharmazeutin, die in vorbildlicher Weise das Krankenjournal D38 analysiert. Die Dissertationen zu den Krankenjournalen lassen die besonderen Qualitäten der Homöopathie erkennen.
Die sorgfältige Dokumentation der Patientensymptome und der Verordnungen sind ein solcher Aspekt.

Roger Rissel