Neues Archiv für Homöopathik

H. Westhofen, S. Reis

Kwibus Verlag Mühlheim an der Ruhr, 2006, Erscheinungsweise 4-mal jährlich, Heft kart., 50 S.,

Jahresabo 52,00 Euro, Einzelheft 15,00 Euro, alle Bezugspreise zzgl. Versandkosten

Inzwischen ist das dritte Heft des neuen Periodikums erschienen und so ein differenzierter erster Eindruck möglich, um eine Rezension zu schreiben. Das „Neue Archiv für Homöopathik“ ist die Wiederaufnahme und Weiterführung des in den Jahren 1992–1997 erschienenen „Archiv[s] für Homöopathik“, damals herausgegeben von Stefan Reis und Michael Terlinden. Stefan Reis führt als Herausgeber und Autor seine Arbeit im „Neuen Archiv“ weiter. Diesmal mit einer Frau als Herausgeberin an seiner Seite. So begrüßt Heike Westhofen im ersten Heft, das im 3. Quartal 2006 erschienen ist, die Leserschaft und nennt deutlich die Zielsetzung der Fachzeitschrift. Die „ursprüngliche Homöopathie Samuel Hahnemanns“ und seiner direkten Schüler soll aufgegriffen werden zur Klärung von offenen Fragen für die Praxis der Homöopathie und zur Auseinandersetzung mit den verschiedenen Weiterentwicklungen. Das lobenswerte Vorhaben zeigt, dass ans „Archiv für Homöopathik“ angeknüpft werden soll. Mit einer fünfköpfigen Schriftleitung, der neben Stefan Reis Christian Meinhard, Bernhard Möller, Dr. med. Jürgen Moritz und Dr. med. Steffen Rabe angehören, ist das „Neue Archiv“ gut aufgestellt. Es lässt sich bereits erkennen, dass die Auseinandersetzung um unterschiedliche Positionen weniger polemisch und mehr als kritischer Dialog geführt wird.

Im zweiteiligen Beitrag „Kann schreiben, aber nicht lesen. Eine eigenartige Arzneiwahl Hahnemanns“ vergleicht und diskutiert Bernhard Möller verschiedene Methoden der Arzneifindung und benennt nebenbei die Schwachstellen des „Lehrbuch[s] der Homöopathie“ von Genneper und Wegener.

Steffen Rabe nimmt sich des Artikels von Genneper in der ZKH Nr. 49 (2005) an und korrigiert die Aussagen über die Relevanz von „Heilungs- und Sequelaesymptome[n] bei der homöopathischen Arzneiwahl“. Beide Beispiele zeigen, wie das „Neue Archiv“ aktuelle Veröffentlichungen zur Homöopathie sachlich reflektiert und damit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Homöopathie leistet.

Stefan Reis weist in seinem Auftaktartikel über das Leitsymptom von Silicea „Furcht vor Nadeln“ nach, dass die ungeprüfte Weitergabe von Behauptungen unsere Materia Medica unzuverlässig macht.

Interessant ist auch der Beitrag von Uwe Platte „Clemens von Bönninghausens systematisch- alphabetisches Repertorium“, der im bisher erschienenen Teil I anhand des Briefwechsels zwischen Hahnemann und Bönninghausen interessante Aspekte der Beziehung dieser beiden Homöopathen zeigt. So fällt auf, dass Hahnemann, der mit seinen Kritikern ebenso wie mit seinen Kollegen sehr barsch umgeht, mit von Bönninghausen einen sehr zurückhaltenden, wohlwollenden Ton anschlägt, auch wenn dieser offenkundig von den Grundsätzen abweicht.

Schon im 2. Heft (Heft IV 2006) findet sich ein erster Leserbrief, der sich auf den genannten Artikel von Bernhard Möller bezieht, und zwei weitere Leserbriefe sind in Heft I 2007 abgedruckt. Dies lässt spannende Diskussionen im „Neuen Archiv“ erwarten. Auch hier zeigt sich, dass aus den Erfahrungen mit dem „Archiv für Homöopathik“ Lehren gezogen wurden. Die Lesermeinung wird nicht direkt kommentiert, sondern die angesprochene Thematik kritisch aufgegriffen. Ist die Zeit endlich reif für eine ruhige sachliche Auseinandersetzung zu offenen Fragen und Weiterentwicklungen? Das „Neue Archiv“ wagt dies, soweit es die ersten drei Hefte erkennen lassen. Wer in den Dialog zu den Fragestellungen eintreten möchte, kann dies nun tun, ohne mit verletzenden Antwortreaktionen rechnen zu müssen.

Auffallend ist die Besprechung des Buches von Heiner Frei: „Die homöopathische Behandlung von Kindern mit ADS/ADHS“. Wie der Rezension von Steffen Rabe zu entnehmen ist, beeindruckt das Buch in weiten Teilen, und die wissenschaftlichen Studien des Autors könnten tatsächlich geeignet sein, die Evidenz der Homöopathie für diese Krankheit zu belegen. Problematisch ist allerdings die standardisierte methodische Vorgehensweise des Autors bei der Behandlung seiner Patienten. Er empfiehlt die Verwendung von Fragebögen, deren anamnestische Fragen sich aus den relevanten Repertoriumsrubriken rekrutieren. Wie die zehn angeführten Beispielfälle zeigen, ist eine Krankheitsbiografie der Patienten und eine Familienanamnese für Heiner Frei nicht mehr von Interesse. Ebenso zeigen die Beispielfälle eindeutig, dass durch die Verwendung der beiden Fragebögen und durch den Verzicht auf die Daten der gesamten Krankengeschichte und der wesentlichen Erkrankungen seiner Blutsverwandten sich sehr stark ähnelnde Anamnesen ergeben. Die Verlaufskontrollen erfolgen auch nicht mehr anhand der erhobenen Symptomatik, sondern wieder aufgrund von allgemeinen Fragebögen, denen der „Conners Global Index“ (lediglich Fragen zum Hauptsymptom) zugrunde liegt. Nachvollziehbar wäre ein solches standardisiertes Vorgehen als Notwendigkeit für eine wissenschaftliche Studie. Der Autor schlägt die beschriebene Vorgehensweise jedoch als nachahmenswerte Methode zur homöopathischen Arzneifindung vor. Die abgeänderte Methodik begründet der Autor unter anderem mit den Schwierigkeiten der Eltern, Auskünfte zu geben, da sie häufig eine vergleichbare Krankheitsbelastung wie ihre Kinder aufwiesen. Dass der Rezensent dazu keine kritischen Aussagen macht, ist verwunderlich, da er, wie sein Artikel über die „Heilungs- und Sequelaesymptome bei der homöopathischen Arzneiwahl“ zeigt, sehr kritisch mit Aussagen von Kollegen umgehen kann. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Wenn Heiner Frei nun noch an anderer Stelle bei der empfohlenen Vorgehensweise die Realisierbarkeit der homöopathischen Behandlung zum Kassenarzthonorar anpreist, stellt sich die Frage, wie dies alles mit Qualitäts- und Zukunftssicherung der Homöopathie zu vereinbaren ist.

Beim Lesen des „Neuen Archiv[s]“ entsteht an einigen Stellen der Eindruck, als sei bereits geklärt, dass die Arbeitsweise der genuinen Homöopathen der Königsweg in der Homöopathie ist. Vielmehr ist die genaue Kenntnis der Arbeitsweise von Hahnemann und den anderen Homöopathen der genuinen Homöopathie die Grundlage für die kritische Auseinandersetzung mit der Homöopathie. Daran die Weiterentwicklungen zu messen ist das eine, die Aussagen und methodischen Schritte der genuinen Homöopathen auch selbst kritisch zu prüfen das andere. Dies kann anhand des sich verändernden wissenschaftlichen Erkenntnisstandes im Laufe der Zeit erfolgen. Denn eins sollte klar sein: Es wird kaum möglich sein, die homöopathische Arzneianwendung als medizinisch anerkannte Methode für die Zukunft zu erhalten, bei Verharren auf dem Erkenntnisstand zur Zeit der Gründung der Methode.

Auch wenn die Beiträge bisher weitestgehend von den Schriftleitern stammen, so soll diese neue Homöopathie-Fachzeitschrift ein Forum für eine breite Autorenschaft bieten. So könnten spannende Beiträge, wie beispielsweise die zur Klärung des Übertragungsphänomens bei einem Selbstversuch mit Tuberkulinum, wie er in den zuletzt erschienenen Heften des „Archiv[s] für Homöopathik“ zu lesen ist, im „Neuen Archiv“ in vielfältiger Weise eine interessante Fortsetzung finden.

Das „Neue Archiv“ ist allen Homöopathen zu empfehlen, die sich bereits kritisch mit der Homöopathie auseinandersetzen oder endlich damit beginnen wollen.

Karin Rohloff und Roger Rissel