Die Miasmenlehre Hahnemanns

Proceso Sanchez Ortega

Haug, Stuttgart 2005, 6. überarbeitete Auflage, 165 S. Kart., € 39,95 / CHF 67,90

ISBN 3 8304 7220 X

Das 1977 erschienene Buch mit dem Originaltitel „Apuntes sopre les miasmos o enfermedades crónicas de Hahnemann“ ist in seiner 6. Auflage erschienen. Dabei wurde wie bereits auch bei der 5. Auflage, im Unterschied zu den vorhergehenden deutschsprachigen Auflagen ein neuer Titel gewählt. Der Inhalt des Buches ist abgesehen von einem neuen Vorwort des Übersetzers und einem Sachverzeichnis mit den vorherigen Ausgaben identisch.
Ortega ordnet den drei chronischen Miasmen Hahnemanns die Begriffe Defekt, Exzess und Perversion, bzw. Mangel, Übertreibung und Destruktion zu. Sowohl die Krankheiten der Menschen bis hin zum einzelnen Symptom in seiner jeweiligen genaueren Bestimmung als auch die Arzneimittel der Materia Medica haben danach Anteile der drei Miasmen.

Ebenso ordnet Ortega den Miasmen die drei Grundfarben blau gelb und rot zu. Daraus ergeben sich dann durch die Mischung der Miasmen unterschiedliche Farbtönungen bei den Patienten und bei den Arzneien.
Im Unterschied zu Hahnemann, der seine Aussagen bezüglich der chronischen Krankheiten auf das medizinische Wissen seiner Zeit und seine sorgfältigen Beobachtung gründete, sind die Auffassungen Ortegas philosophisch-anthropologisch geprägt. Er legitimiert seine Interpretation mit Hinweisen auf philosophische Aussagen Hahnemanns. Diese dienen allerdings eher der Ausschmückung; oder es handelt sich um erklärende Hypothesen, während das Wesentliche in Hahnemanns Wirken und Schriften im Sinne der Aufklärung ganz unter den Maximen der Rationalität und der Nachvollziehbarkeit steht.

Hahnemann hat mit seinen Chronischen Krankheiten eine erste wissenschaftliche Systematik von Krankheiten geschaffen, bei der die Idee der Infektion einen bedeutenden Anteil hat. Er hat mit seinen Ausführungen konkrete Handlungsanweisungen für das praktische Vorgehen bei der Behandlung chronischer Krankheiten geben und belegt.

Ortega leitet aus seinen philosophisch-anthropologischen Betrachtungen die Forderung an den Behandler ab, den Menschen zum Heil und damit die ganze Welt zum Heil zu führen.
Vor diesen Unterschieden stellt sich die Frage, ob der geänderte Titel der deutschsprachigen Ausgabe glücklich gewählt wurde. Die Bescheidenheit des Originaltitels „Anmerkungen zu den Miasmen oder chronischen Krankheiten Hahnemanns“ ist angemessener. Auch ist die Änderung der Literaturangaben in deutschsprachige aktuelle Ausgaben irreführend, da es für kritische Recherchen wichtig ist zu wissen, welche Übersetzungen der Hahnemann´schen Werke gelesen und verwendet wurden, um Missverständnisse des Autors aufspüren zu können. Wie bedeutend dies sein kann zeigen aktuelle Forschungen zu Aussagen von J. T. Kent.

Ganz gleich, ob man nun Anhänger philosophisch-anthropologischer oder naturwissenschaftlich-rationaler Auslegungen zu den chronischen Krankheiten ist, sollte doch eines gelten: Die kritische Auseinandersetzung sowohl mit den Hahnemann´schen Grundlagen als auch mit den Aussagen späterer Homöopathen ist Pflicht, gerade in einer Zeit, in der die Homöopathie zunehmend ins öffentliche Interesse rückt.

Roger Rissel