„Chinesische Pulsdiagnostik“

Heping Yuan

134 Seiten, geb., ca. 50 Abb. ca. 30 Tabellen, Urban & Fischer Verlag, 80333 München, Karlstr. 45, 39,95 Euro

Als Galenus von Pergamon für das europäische Altertum seinen Traktat „De pulsibus Schule von Alexandria, um 193 n. Chr. niederschreiben ließ, gehörte das Wissen von den Beschaffenheiten und Eigentümlichkeiten der Pulse und das Erlernen der Pulsfühlung im alten China seit mindestens einem halben Jahrtausend zum festen Repertoire der Studierenden und praktizierenden Ärzte. Untrennbar mit der Akupunktur und ihrer Energielehre verbunden, war aber die aufspürende Deutung des Pulses, zunächst über der Arteria carotis communis, später durchwegs über der Arteria radialis, bereits vor 2600 Jahren bekannt. Bis schließlich durch die in sich schlüssige Systematik des Mai Jing, zeitlich parallel zur medizinischen Enzyklopädie des Galen entstanden, die Einheit von Theorie und klinischer Praxis eine reife Vollendung erfuhr und das Abnehmen des Pulses mit drei Fingern an drei naheliegenden Stellen auf drei verschiedenen Ebenen festlag.

Nach der übersichtlichen Einleitung über diese historische Entwicklung stellt der in Deutschland lehrende und therapierende Professor der traditionellen chinesischen Medizin den engeren Zusammenhang der Lebensenergie (Qi) zur Physiologie des organischen Substrats her, bevor die Charaktere von 28 pathologischen Pulsen (Galen qualifizierte 27, Hufeland noch 17) mit Hilfe von Funktionsdiagrammen, wobei die bilderreiche Sprache der Chinesen in unser rationales Verständnis übersetzt werden mußte, bloßgelegt werden. Ohne die von der Akupunktur und der Zungendiagnostik gewonnenen Grundannahmen über das Verhältnis der Weltelemente Yin und Yang geht es allerdings auch bei der Pulsdiagnose nicht. Entscheidende Einzelkriterien für Prognose und Therapie sind dabei die Tiefe, das Volumen, die Kraftfülle, die Frequenz, der Rhythmus, die Länge, die Äußerungsform und einige Besonderheiten der äußeren und inneren Faktoren, die dem Pulsdiagnostiker den Weg zu seinem Urteil und zu seiner Prognose aufzeigen. Dabei ist leicht zu erkennen, daß, ähnlich wie bei den abendländisch-hippokratischen Medizinerschulen, die Phänomenologie und Erfahrung eine fruchtbare Synthese bilden. Aber auch der Pulssphygmographie, der modernen meßtechnischen Verifizierung überkommener empirischer Aussagen, ist ein Kapitel gewidmet.

Insgesamt handelt es sich bei dieser Publikation um ein ansprechendes Lehrbuch, daß von Beginn an als ein sicherer Begleiter für Kurse, Übungseinheiten und Neuanwender zu werden verspricht, um, im Laufe der Zeit, der Therapie kunstvolle Aussagen zur Seite zu stellen, die nicht – wie mancherorts in Europa – zu den Verirrungen eines maßlosen Aderlassens aufgrund unrichtig interpretierter Pulse führte.

S.H.