„Von Druidentrank und Hexenkraut“

Stefan Haag

Frankh-Kosmos Verlags-GmbH, 70049 Stuttgart, Postfach 10 60 11, 207 Seiten, Leinen, Euro 16,90

ISBN 3-440-09231-3

Zu allen Zeiten, in denen das geschriebene Wort die Tradition der Medizin aufrecht erhielt und die mündliche Überlieferung ergänzte oder sie verdrängte, war das Unbekannte an den Giftpflanzen, die, wie wir heute wissen, hauptsächlich Alkaloide und Glykoside enthalten, von Dämonen besetzt, d. h. die Erklärungsversuche endeten in Magie, Kultus und Mythus. Auch durch dieses Buch lässt sich jene charakteristische Entwicklung nachverfolgen. So wird, um als markante Beispiele die Nachtschattengewächse zu nennen, die Tollkirsche (Atropa bella donna L.) zur „Beere des Schicksals“, das Schwarze Bilsenkraut, auch „Teufelskraut“ oder „Saubohne“ genannt, zur Komponente des „Hexensuds“. Nun werden, wenn es um den Nachweis (so er gefordert ist) der pharmazeutischen Wirksamkeit oder um die Interpretation kultureller Auswirkungen psychoaktiver bzw. halluzinogener Pflanzen geht, der Irrtum zwangsläufig und „finstere Mächte“ obsiegen. Wagner lässt Kundry, vor ihrem Wandel der Gesinnung, in seinem Parsifal in einen betäubenden (Opium?-) Heilschlaf verfallen. Gerade aber der Irrtum, der aus der Logik der Natur mittels trial and error die Selektion auf „irgend etwas hin“ voranzutreiben, entsteht, wird zum Sonderfall bei den bewusstseinsrelevanten Rausch- und Giftpflanzen und zur speziellen Herausforderung bei der historischen Verarbeitung durch Ethnomediziner und Ethnopharmakologen, die mit ihrem Quellenstudium unmittelbar zu Geschichtenverarbeitern werden. Die Angaben über diesen Kreis der Pflanzen sind uneinheitlich, facettenreich, haben ihre eigene darstellende Symbolik (Baldung Grien, Hieronymus Bosch), erhalten stets Eingang in die Weltliteratur: Shakespeare, von Grimmelshausen, von Goethe, Baudelaire, Farrère, Freud, Ernst Jünger u. v. a. Die wechselvolle Handhabung der Bezeichnungen, die Namensgebung, der Volksausdruck, der Kollektivbegriff, lassen u. U. auf bestimmte Regionen, nicht unbedingt auf die Art der Anwendung schließen: So meint der Autor, dass die Germanen ohne Tollkirschen nicht ausgekommen wären. Höfler, Forscher von Rang, hingegen bezweifelt die altgermanische Anwendung und führt sie, im Gegensatz zum Bilsenkraut, für die Tollkirsche nur bis in das 12. Jahrhundert zurück, als die Klosterkräutermedizin begann, in das neugegründete Officin einzuziehen. Seitdem laufen, wie Aigremont richtig anmerkte, „... zwei Strömungen nebeneinander, die alte heidnisch-volkstümliche Erfassung der Pflanzenwelt und die antike hellenisch-römische.“ (vgl. Dioskurides)

Die biochemische Analysis hat in der Neuzeit beide Richtungen weitestgehend überlagert. Diese bewusstseinsabhängige und zugleich in den Folgen bewußtseinsbildende Abspaltung ist nach wie vor lebendig, wie das Buch durch Inhalt und Form deutlich zu erkennen gibt, denn der Analyse folgte die Synthese im Reagenzglas. Was aber macht den Unterschied zwischen alt und neu aus, ob bei Vollmond eine „Buhlsalbe“ als „Hexenschmiere“ mit zerstoßenen Bilsenkrautsamen oder die entzündungshemmende korticoidhaltige Salbe „für unterwegs“ aufgetragen wird, deren Inhaltsstoffe internationaler Kriterien unterliegen? Wer bereits mit dem Studium der in den letzten 10 Jahren üppig zugenommenen Veröffentlichungen über diesen traditionellen Bereich der Pflanzenheilkunde begonnen hat, wird der Lektüre des vorgelegten Buchs nicht soviel abgewinnen. Bei wem dies nicht der Fall ist, kann das Buch jedoch zur informationsreichen Reise über längst verblasste Wege werden.

S.H.