Taschenatlas der Zungendiagnostik

Claus C. und Beate Schnorrenberger

Hippokrates Verlag 70469 Stuttgart 303 Seiten mit 162 z. T. farb. Abb., kart., Euro 39,95

ISBN: 3830452365

Obwohl es sich hier „nur“ um einen bilderreichen (Taschen-)Atlas mit stichwortartigen Anmerkungen handelt, erfährt der Leser ungewöhnlich viel über das Wesen der durch die Jahrhunderte der Erfahrung ausgefeilten traditionellen chinesischen Diagnostik. Die Zunge sich vorzunehmen, ist demnach die Einengung des diagnostischen Blicks auf ein bestimmtes Körperareal und die Prüfung desselben auf individuelle Beschaffenheiten, der – wenn zur diagnostischen Kunst erhoben –, in Nuancen die wegweisenden Hinweise auf innerorganische Veränderungen auffängt. In der chinesischen traditionellen Medizin sind zudem das Betasten, Hören und Riechen, die Anamnese und die Bewertung der Arterienpulse von übergeordneter Bedeutung. Sie verweisen auf einen akuten Gesamtzustand beim Kranken, der die Antwort zur Umsetzung der chinesischen Regulationstherapie, wie sie uns durch Akupunktur, Moxibustion, Teeverordnung und spezifische Diät bekannt geworden ist, unmittelbar folgen lässt.

Die Seinszustände Yin und Yang aus der traditionellen chinesischen Lehre werden so zu fassbaren Verursachern für Veränderungen an der humanen oder auch animalen Reflex-Somatotopie, die im Falle der Zunge dem Erwärmerregelkreis zuzurechnen sind. Das grobe volksmedizinische „Zungenbürsten“ trägt übrigens diesem Umstand Rechnung. Die Farbe offenbart den Charakter (warm, kalt, leer, voll) der Störung, und die Konsistenz der Zungenoberfläche (feucht, trocken, rau etc.) wird Ausdruck (Physiognomie) für die Qualität von Blut, Energie und Essenzen. Insofern wären manche Vorstellungen, jedoch nicht die dazugehörigen klinischen Folgerungen, zwischen westlicher und östlicher Medizin teilweise sogar austauschbar. Das zeigt sich besonders in den Abschnitten des Buchs, in denen die Dingfestigkeit funktionsanatomischer bzw. physiologischer Zusammenhänge als wichtige Voraussetzungen angesehen werden. Das hierbei entstehende Konglomerat aus all diesen Aspekten verwandelt die reine Sammlung der Phänomene, in ein – zumal gut durchstrukturiertes – systematisches Lehrbuch.

Nach erlangter Kenntnis der reinen Phänomenologie, und die hohe Qualität der Abbildungen erleichtert die Schulung, erlaubt die Zungendiagnostik überdies eine Verlaufskontrolle nach eingeleiteter Therapie. Nach Maßgabe solcher Befunde werden unter diesen geänderten Bedingungen die Konzepte neu gestaltet und therapeutisch anders „ausgeleitet, vertrieben, ausgelöscht, gelöst, geöffnet, beruhigt oder gestärkt“ – ganz im Sinne der Elementenlehre und Makrobiotik, welche die angepasste Ernährungsweise einschließt. Mit diesem praxisbezogenen Buch kommt der Leser der chinesischen Diagnostik ein erhebliches Stück näher, und beinahe automatisch stellen sich nebenher die Bedenken ein, wieso in den Ursprungsländern des technischen Fortschritts, zwischen Subjekt und Objekt, eine gleichermaßen komplizierte wie aufwändige Technik zwischengeschaltet sein muss.

S.H.