Auf den Spuren des späten Hahnemann

Hahnemanns Pariser Praxis im Spiegel der Krankenjournal

Rima Headley

Thieme-Verlagsgruppe, Stuttgart, 2001; 137 S. Euro 30,17

ISBN 3-87758-169-2

Die Entwicklung der Homöopathie ist sehr eng mit der Biografie Samuel Hahnemanns verknüpft. Sein 1796 im "Journal der practischen Arzneikunde" erschienener Artikel mit dem Titel "Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen, nebst einigen Blicken auf die bisherigen" gilt heute als Geburtsstunde der Homöopathie.

Zweifel und Unzufriedenheit mit der damaligen Medizin hatten den praktizierenden Arzt und Wissenschaftler nach anderen Heilmethoden suchen lassen:

"Nehme ich eine anhaltende ungesunde Witterung, nehme ich Mangel und Armuth aus, so fällt die übrige Schuld fast allein auf Anstalten, Krankenwärter und Ärzte, die durch vereinigtes schlechtes Betragen allein schon im Stande sind, mittelmäßige Krankheiten zu bösartigen umzuschaffen."

Das sind starke Worte.

Diese frühen Jahre der Homöopathie mit ihren Prüfungen und Wechselfällen, die Berichte über Erfolg und Scheitern Hahnemanns sind vielen Homöopathen bekannt. Weniger bekannt sind Hahnemanns letzten Jahre in Paris, wo er mit seiner zweiten Frau eine erfolgreiche Praxis führte. Rima Handley beschreibt in ihrem Buch diese Zeit. Sie stützt sich dabei vor allem auf die von Hahnemann angefertigten Krankenjournale, die bis heute nicht ausgewertet wurden.

"Die Journale zeigen uns einen ganz anderen Hahnemann als den selbstbewussten Meister, als der er sich uns in seinen veröffentlichten Werken zu zeigen pflegt,"

sagt die Autorin.

"Hier können wir ihm bei seinen Versuchen über die Schulter blicken und den Kontrast dieser Herumexperimentiererei zu der Selbstgewissheit seiner öffentlichen Äußerungen erleben."

Die Dokumente belegen den Forschungsdrang des Siebzigjährigen. Er erhöhte die Anzahl der Arzneien, die ihm in seiner Praxis zur Verfügung standen, von anfänglich 50 auf beinahe 200. Dabei verwendete er teilweise kaum oder nicht geprüfte Substanzen. Beispielsweise verabreichte er höhere Potenzen, um sie einem Krankheitsbild anzupassen. Entgegen der bekannten Praxis, nach einer einzigen Gabe die Entwicklung abzuwarten, verordnete er wiederholte Gaben flüssiger Dosen.

Misserfolge und vor allem Erfolge dokumentierte Hahnemann anschließend in den Krankenjournalen, offensichtlich immer wieder selber über die Wirksamkeit der Homöopathie erstaunt.

"Hahnemanns Krankenjournale zu lesen, heißt am Prozess der Entstehung der Homöopathie teilzuhaben,"

sagt Rima Handley, die Mediaevistin ist, eine Spezialistin für das Mittelalter.

Das Buch ist ebenso interessant wie amüsant, Hahnemann war 80 als die Marquese Melanie (36) in Sachsen in seiner Praxis erschien. Das ging alles ziemlich schnell: verliebt und alsbald verheiratet bezogen sie dank des Vermögens der kunstinnigen Herzogin (Dichterin, Feministin) ein großzügiges Haus in guter Lage in Paris. Melanie machte die Grund-Anamnese, Hahnemann sehen wir im behaglichen Sessel die lange Pfeife rauchen. Er übernahm dann mit gezielten Fragen die Mittelsuche.

LM-Potenzen kamen in jenen Jahren bevorzugt zum Einsatz, das Mittel Sulfur taucht besonders häufig auf. Die Autorin schreibt, dass er die "Olfaktion", das Nur-riechen-lassen an einer Arznei, 1829 einführte und die ganzen folgenden Jahre verwendet hat. (Hahnemann starb 1843, ca. 11 Jahre nach Johann Wolfgang von Goethe – die sich aber beide nicht persönlich kennen lernten).

Josef Karl