„Palpationstechniken und Diagnostik“

Leon Chaitow

Urban & Fischer 2001, München/Jena
DM 109,90

Das 363seitige Buch ist in 11 Kapitel unterteilt, die wie ein Kaleidoskop den hier (sinnvollerweise) sehr weitgefassten Begriff „Palpation“ darstellen. Das umfasst grundlegende Erläuterungen zum Thema („Das Ziel: Mit den Händen sehen lernen“ (Kap.1 )) ebenso wie energetische Arbeit („Palpation ohne Berührung“ (Kap. 10)). Dabei arbeitet sich der Autor systematisch von der Oberfläche („Die Haut: Palpation ...“ (Kap. 3)) bis ins Innere („Viszerale Palpation ...“ (Kap. 9)) vor. Er weist darauf hin, dass Palpation und Therapie zum Teil nur theoretisch voneinander zu trennen sind (z. B. in Bereichen der Kraniotherapie oder NMT).

Ungewöhnlich ist es, wenn L. Chaitow jedem Kapitel ein „Spezialthema“ voranstellt. Zwar sind diese Themen durchweg interessant und lehrreich. Leider versäumt es der Autor, die Funktion seiner unkonventionellen Konstruktion zu erläutern und zu erklären, warum das jeweils gewählte Thema gerade für das Kapitel, dem es vorangestellt wurde, von Bedeutung ist. Dies ist um so bedauerlicher, da sich dem Leser der Zusammenhang zwischen dem „Spezialthema“ und dem dazu gehörigen Kapitel oft nicht von selbst erschließt.

Der Untertitel des Buches „Lehr- und Arbeitsbuch für Osteopathen“ darf wörtlich genommen werden. Der Autor beschränkt sich nicht auf die Darstellung der grundlegenden Zusammenhänge, sondern leitet mit einer Vielzahl von Übungen für die praktische Arbeit an. Hier wird nichts neu erfunden, sondern das Vorhandene zitiert, sondiert, strukturiert, kommentiert und in den Übungen vorgestellt. Dies darf auf keinen Fall abwertend verstanden werden! Ganz im Gegenteil: Von Arbuckle über Greenman, Magoun, Travell bis Upledger (um nur einige zu nennen) sind hier alle vertreten, die Rang und Namen haben und für deren erfolgreiche Arbeit die Palpation auf höchstem Niveau notwendig ist. Aus diesem Wissen schöpft L. Chaitow. Er bietet dabei kein Sammelsurium, sondern schafft Einheiten, die Hintergrunde erklären sowie Standpunkte verschiedener Therapeuten und deren Ansätze darstellen. So speisen sich diese Übungen aus sehr unterschiedlichen Quellen, u. a. Chiropraktik, Osteopathie, Physiotherapie und Massagetherapie.

Die praktischen Anleitungen erfolgen erfreulich detailliert: Jede Übung enthält eine Empfehlung, wie viel Zeit man sich dafür nehmen soll. Der Lernende erhält immer wieder den Rat, seine Befunde zu dokumentieren. Er soll auch eine Checkliste anlegen, um so Veränderungen beim Partner/Patienten festzustellen, aber auch um Verbesserung seiner palpatorischen Fähigkeiten nachzuhalten. Zahlreiche Querverweise erleichtern es, Übungen zu verbinden und zu einem persönlichen Konzept zusammenzustellen.

Die Verarbeitung des Buches macht einen soliden Eindruck, obwohl es als Paperback herausgegeben wurde. Es ist als Arbeitsbuch verwendbar, ohne nach mehrmaligem Gebrauch in seine Einzelteile zu zerfallen.

Das im Mai d.J. in deutscher Sprache veröffentlichte Buch ist im Original 1996 (Vorwort und Einführung sind merkwürdigerweise 1997 datiert) erschienen. Das bietet dem Leser den Vorteil, dass er auch in der Übersetzung ein recht aktuelles Buch in den Händen hält. Auch die angegebene Literatur verweist nicht nur auf „Klassiker“, sondern noch auf Arbeiten, die bis 1996 vorlagen.

„...die Reise ist endlos, denn die Perfektion in der Kunst des Palpierens erreichen wir nie. ...“,

sagt der Autor in seiner Einführung. Dies sollte als Aufmunterung dienen, sich auf den Weg zu machen, ganz gleich, wo der jetzige Standort sein mag. Leon Chaitow bietet mit seinem Buch einen kundigen Reiseführer an. Mehr kann man, realistischerweise nicht verlangen.

Astrid Brüschke