Das Werden der Homöopathie

Rudolf Tischner

Geschichte der Homöopathie vom Altertum bis zur neuesten Zeit
220 Seiten, 1 Porträt des Autors, geb.,
Sonntag Verlag, 70469 Stuttgart, Rüdigerstr. 14, DM 89,--

Warum mussten über 50 Jahre verstreichen, bis die 1950 erschienene Wiederauflage über 150 Jahre Geschichte der Homöopathie, eine durch den Medizinhistoriker Robert Jütte durchgesehene und nur leicht überarbeitete Form finden durfte?
Der Verfasser, Dr. Rudolf Tischner, hatte damals, nach dem Verlust der in vier Bänden vorliegenden „Geschichte der Homöopathie“ durch Bomben im Zweiten Weltkrieg, den ganzen Inhalt unter widrigen Umständen nachgearbeitet. Das Ergebnis ist beeindruckend, die Fülle der Fakten geradezu erdrückend. Aber nur so lässt sich ein tiefes Bild vom Wesen und von der Entwicklung der Homöopathie erreichen, die wir heute „klassisch“ nennen.

Teil 1 behandelt das Wesen der damals wie heute mehr oder weniger heftig umstrittenen Methode. Er untersucht die Wurzeln des Simileprinzips, das andeutungsweise bei Hippokrates, Galen oder Paracelsus vorhanden ist und befasst sich außerdem mit Arzneiprüfungen beim Gesunden, eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Dokumentation von Arzneimittelbildern.
Der zweite Teil ist der Vita Hahnemanns gewidmet, seinem Werdegang, seinen Forschungen, von A – Z, von der Wiege bis zur Bahre: das Leben Hahnemanns wird (spätestens ab 1790) identisch mit seiner Lehre. Die Abfassungen der 6 Organon-Bücher, geben einen kleinen aber wohl den wichtigsten Teil davon wieder. Hauptwerk aber sind die „Chronischen Krankheiten“, lehrreich dazu die zahlreich geführten Krankenjournale. Hier wirft der Autor tiefe Forscherblicke in die Archive Hahnemanns störrische Haltung gegenüber alles Medizinische, das keine Homöopathie war, sein Fleiß, gute Beobachtungsgabe, die Zähigkeit, schwierige Lebensumstände zu meistern, gerade auch die Diskreditierungen und schicksalhafte Zusammenflüsse erhoben das Lebenswerk. Der Mensch das Werk, nach dem Lebensabend, folgt die Zusammenfassung.
Wie steht es um die Nachwelt? Dieser Frage beantwortet der 3. Teil. Bekannte aber auch viele unbekannte Namen tauchen auf. Schüler, Anhänger, viele Kritiker. Dieser Abschnitt ist zugleich ein Spiegel der Medizin des 19. Jahrhunderts, damals wie heute, das Werden der Homöopathie besteht aus einem Fließen.
Teil 4 erfasst die Zeit ab 1850, beschreibt akribisch die Umstände der Verbreitung. Jetzt, im Wechsel von Materialismus zu Vitalismus, strömt mehr Wissenschaftliches auf die Hahnemann’sche Lehre ein. Auch die Verfälschung droht, zumindest ist eine Anzahl von Änderungen zu verzeichnen. Der Autor macht Nebenzweige sichtbar: Komplexhomöopathie, Elektrohomöopathie Matthei’s, Spagyrik nach Zimpel, Schüßler’s Biochemie, um nur die nicht vergessenen Verfahren zu nennen. Eine Verbindung zwischen Homöopathie und Augendiagnose, in der Person Peczely’s, sieht der Autor hingegen nicht. Dieser Zeitabschnitt ist geprägt von neuen Aussagen zur Physiologie des Menschen und den dazugehörigen Experimenten in der Medizin. Die Etappensprünge werden ständig kürzer, aber die Homöopathie und ihre sich um ein Vielfaches erweiternde Nosodenlehre bleibt bestehen. Nach wie vor geht die Kritik jetzt regelmäßig durch den sich ausbreitenden Blätterwald der medizinischen Fachschriften. Die homöopathischen darunter – sie blühen auf und gehen unter. Aber die Homöopathie dauert und hat sich schon längst über deutsche Grenzen hinweg gesetzt. Frankreich, England, Italien wurden bereits ab 1820 Nachfrageländer. Das die Gegensätze, aus Schulmedizin und Simileprinzip sich in neuerer Zeit nach Zweckmäßigkeiten orientieren und sich aufeinander zu bewegen, diese Tendenz spricht der Autor zum Schluss seiner denkwürdigen Arbeit an, und das war immerhin schon im Jahr 1949. Nachträge, Ergänzungen und ein Lebensbild Tischners steuerte der Stuttgarter Medizinhistoriker Robert Jütte bei.

Tischner’s Forschungsarbeit als Buch, dass bedeutet nicht einfach Durchlesen, sondern intensives Studium.

H.S.